: Italienisches Strafrecht erneut in der Diskussion
■ Die Verhaftung von Mitgliedern des Südtiroler „Heimatbundes“ hat die Diskussion um das Strafrecht neu belebt / Geltendes Strafgesetzbuch ist unter Mussolini erarbeitet worden
Aus Rom Werner Raith
Die Allianz mutet auf den ersten Blick seltsam an - Arm in Arm kämpfen derzeit in Bozen und Trient, sogar in Mailand und in Rom erzreaktionäre „Schützen“ und linke Sozialisten, Häuptlinge der „Südtiroler Volkspartei“ und Grüne, Christdemokaten und Abgeordnete der „Alternativen Liste“ gegen die Verhaftung und folgende Anklage gegen 16 Mitglieder des konservativen „Heimat bundes“ und der Nachwuchsorganisation „Junge Generation“. Vorgeworfen wird den Anhängern eines separatistischen, rein deutschsprachigen „Freistaates Südtirol“ das nach dem geltenden Strafrecht mit mindestens fünf Jahren zu ahndende Verbrechen „antiitalienischer Umtriebe im Ausland“ - ein Delikt, das Mussolini 1930 ins Strafrecht einführte, um antifaschistische Interviews seiner Gegner bestrafen zu können. Die 16 Heimatbündler hatten im vergangenen November an einer Gesamttiroler Veranstaltung in Wien von der Abspaltung ihres Landstriches von Italien geträumt und entsprechende Flugblätter verteilt. Positiv über das Vorgehen des eifrigen Staatsanwaltes Edoardo Mori äußern sich nur die Neofaschisten des „Movimento sociale italiano“ (MSI) - sie „freuen sich, daß man nun Italien nicht mehr uneingeschränkt beleidigen darf“. Zielrichtung ist dabei die große Klientel der Neofaschisten in Südtirol: viele auch nichtfaschistische Angehörige der italienischsprachigen Minderheit hatten bei den letzten Wahlen dem MSI aus Angst vor den Abspaltungstendenzen der „Deutschen“ ihre Stimme gegeben und die Partei so auf Platz zwei hinter die Südtiroler Volkspartei gehievt. Ansonsten aber ist die Empörung über das Vergehen gegen ein „reines Meinungsdelikt“ (so eine gemeinsame Erklärung von Grünen und Kommunisten) einhellig.Auch wenn gestern die 17 Südtiroler wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, weitet sich mittlerweile die Affäre zu einer prinzipiellen Diskussion aus. Wieder einmal wird den demokratischen Italienern bewußt, daß ihr geltendes Strafgesetzbuch noch immer das von Mussolinis Justizminister Rocco erarbeitete Gesetzeswerk ist und daß zahlreiche Strafvorschriften in der Tat eher in Diktaturen als in eine Demokratie passen würden. So gibt es, als besonderes Verbrechen, z.B. noch den „Mord an einem Staatsoberhaupt“; mit dem Delikt „Herabwürdigung des italienischen Volkes“ mußte sich noch bis vor kurzem das Verfassungsgericht auseinandersetzen. Kritische Juristen wie der linke Strafrechtler Sandro Canestrini, der aus „Engagement für die Denk– und Meinungsfreiheit“ neun der 16 Heimatbündler verteidigt, hoffen - „leider muß man sagen: wieder einmal, wie schon so oft, wenn es Massenverhaftungen zwischen dem Brenner und Sizilien gegeben hat“ - auf eine umfangreiche Diskussion mit dem Ziel einer Gesamtrevision des italienischen Strafrechts. Die taz wird morgen ein ausführliches Exklusiv–Interview mit Canestrini abdrucken.
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