Italienische Schuldenpolitik: Italien ist nicht Griechenland
Die Regierung in Rom will die EU mit ihrem Haushalt erpressen. Eine Gefahr für die EU? Eher eine für Italiens Privathaushalte.
Das Duell zwischen Italien und Europa geht in eine neue Runde. Nach einem angespannten Schlagabtausch über Italiens Haushaltspläne hat die Europäische Kommission am 21. November den italienischen Haushalt abgelehnt und sich zum ersten Mal in ihrer Geschichte für ein Defizitverfahren gegen einen Mitgliedsstaat ausgesprochen. Die italienische Regierung strebte im vorgelegten Haushalt für 2019 eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent an. Damit lag sie um 1,5 Prozentpunkte über dem Prozentsatz der Neuverschuldung, den Europa mit der Vorgängerregierung vereinbart hatte.
Italien will neue Schulden machen, um die Versprechen in die Tat umzusetzen, die der rechten Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung im Sommer 2018 die Wählergunst zuspielten. Ein „Grundeinkommen“ wurde da vollmundig angepriesen, das in seinem Entwurf allenfalls einer sozialen Grundabsicherung, ähnlich dem deutschen Hartz IV, entspräche. Unternehmen wurden mit Steuergeschenken gelockt, die einer Flat Tax gleichkommen sollen.
Vor diesem Hintergrund hatte die Europäische Kommission bereits Ende Oktober Widerstand angekündigt. Die italienische Regierung ließ sich davon nicht beirren und suchte die Auseinandersetzung mit Brüssel. Ganz Italien spricht seitdem über lo spread. Gemeint ist der Risikoaufschlag für den Kauf von italienischen Staatsanleihen im Verhältnis zu deutschen Bundesanleihen. Seit Anfang Oktober liegt der Spread bei über 3 Prozent. Seit fünf Jahren waren die Zinsen nicht so hoch, war das Vertrauen der Märkte in das Abtragen der italienischen Staatsschuld so gering.
Der Vertrauensverlust kommt Italien teuer zu stehen. Wer die italienischen Staatsanleihen kauft, will nun auch mehr Zinsen für das aufgenommene Risiko. Zinsen auf große Fragen wie: Was, wenn Italien scheitert? Was, wenn die Rechtsaußen-Regierung – ihrem populistischen Habitus treu – unter Salvini die Leitung nach Europa kappt, den Staatsbankrott erklärt und zur Lira zurückkehrt?
Dieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
„Ein Haushalt, der couragiert wichtige Punkte anvisiert“, erklärte Stefano Fassina, Abgeordneter der Liberi e Uguali (LeU, frei und gleich), einer Oppositionsgruppierung der parlamentarischen Linken. Von 2013 bis 2014 war Fassina Vizewirtschafts- und -finanzminister der PD. „Das Misstrauen der Märkte ist verständlich, schließlich steht die italienische Haushaltspolitik im Gegensatz zur schweren Ausbeutung der Arbeit, zur Bevorzugung der Exportindustrie und der Finanzmärkte.“
Salvini wird gestärkt
Sahra Wagenknecht, Fraktionsvorsitzende der Linken im Deutschen Bundestag, sieht das ähnlich. Dem „Deutschlandfunk“ sagte Wagenknecht, dass es wenig Sinn habe, einem Staat, der sich seit zehn Jahren in einer schweren wirtschaftlichen Krise befinde, einen Sparzwang aufzuerlegen. Der italienische Haushalt enthalte auch sinnvolle Maßnahmen wie Verbesserungen an der Arbeitslosenversicherung oder der Frühverrentung. Und schlussendlich mahnt Wagenknecht, ein Nein böte einer „halb faschistischen Partei wie der Lega und Staatschef Salvini eine extreme Möglichkeit, sich zu profilieren“.
„Natürlich wird auf diese Weise Salvini gestärkt“, erklärt Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, der taz. „Die Europäische Kommission hat allerdings keine Alternative. Sie kann einen Staat nicht machen lassen, was er will. Sie muss zwangsläufig eingreifen. Jetzt muss aber ein Kompromissraum gefunden werden. Die EU muss mit Italien verhandeln. Die 2,4 Prozent Neuverschuldung sollen temporär akzeptiert, eine Überschreitung allerdings ganz entschieden ausgeschlossen werden. Gleichzeitig sollte die Kommission überprüfen, ob die geplanten Ausgaben sinnvoll für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes sind.“
Es besteht das Risiko, dass die Maßnahmen, die mit der Neuverschuldung finanziert werden sollen, einen Geldregen auslösen, der die Wähler zwar kurzfristig befriedigt, aber nicht imstande ist, Italiens Wirtschaft wiederzubeleben. „In jedem Fall muss diese Auseinandersetzung zwischen Italien und Europa ein Ende finden. Je intensiver sie aneinandergeraten, desto höher steigen die Zinsen, desto mehr verschuldet sich Italien, was jede weitere steuerpolitische Maßnahme im Keim vereitelt“, erklärt Giegold. „Das bedeutet nicht, dass das System, das dem Euro zugrunde liegt, nicht reformiert werden muss. Der Stabilitätspakt untersagt es den verschuldeten Ländern, die eigene Wirtschaft über Investitionen anzukurbeln. Der Konfrontationskurs, den Italien einschlägt, hilft nicht, politische Änderungen herbeizuführen. Leider haben sowohl die Lega als auch die Fünf-Sterne-Bewegung nie engagiert an den entsprechenden Diskussionen in Brüssel teilgenommen.“
Immer offensichtlicher wird, dass dem Duell zwischen Italien und der Europäischen Kommission eine Erpressung zugrunde liegt. Italien ist nicht Griechenland, sondern die drittstärkste Volkswirtschaft der Eurozone, sagen sich die Politiker, die in Rom die Zügel in der Hand haben. Und bräche Italien unter Schulden zusammen, zwänge das ganz Europa in die Knie. Die populistische Regierung Italiens ist überzeugt, dass Brüssel früher oder später nachgibt, um eine Ansteckung des ganzen europäischen Finanz- und Wirtschaftsapparats durch den „Patienten Italien“ zu vermeiden.
Italiener werden die Rechnung bezahlen
„Nichts ist illusorischer“, erklärt Mario Seminerio, italienischer Wirtschaftsexperte und Kritiker der italienischen Regierung, der taz. „Eine Ansteckungsgefahr besteht nicht, denn Europa hat seit Jahren ein ‚Sicherheitsnetz‘ um Italien abgesteckt. Die Erpressung wird wirkungslos sein, weil jede italienische Krise die schwersten Auswirkungen auf nationaler Ebene hätte.“ Seminerio ist überzeugt, dass Italien nicht aus dem Euro aussteigt.
Ein Ausstieg wäre desaströs für Italien und für die Regierung unter Salvini. „Es wird auch keinen Staatsbankrott geben, denn wenn der Spread ein ähnliches Niveau wie 2011 erreicht (5,74 Prozent; Anm. d. Red.), wird die italienische Regierung im letzten Moment zurückrudern und in einer Blitzaktion – wie in der Vergangenheit oft angewandt – die Vermögen italienischer Konten, Investitionen, Wohneigentum besteuern.“
Im Unterschied zu den Griechen verfügen die Italiener über ein Vermögen von schätzungsweise 10.600 Milliarden Euro: Das entspricht dem 4,6fachen der Staatsverschuldung des Landes. Die Vermögen der Italiener sind eine implizite Garantie, die der enormen Verschuldung des Staats gegenüberzustellen ist.
„Falls der Spread die nationale Wirtschaft gefährden sollte, wird die Regierung kapitulieren. Sobald dieser Fall eintrifft, wird man die Zahlungsfähigkeit Italiens durch das Ansetzen neuer Steuern, vor allem der Vermögensteuer, garantieren. Der Spread wird sinken, und wer vorher Anleihen gekauft hat, wird davon profitieren.“ Oft seien es ausländische Investoren, die so Gewinne abschöpften, während die Italiener die Rechnung über die Besteuerung zahlten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“