■ Nebensachen aus Brüssel: Italienische Bürokraten haben Heimweh
Die EU-Kommission in Brüssel würde gerne ein paar hundert neue Leute einstellen, am liebsten erfahrene Juristen und Verwaltungsexperten, die mindestens vier Jahre Berufserfahrung haben sollten. Das hört sich einfach an, ist aber gerade wieder schiefgegangen.
Über 30.000 Bewerber haben der Personalstelle in Brüssel die Türen eingerannt, was daran liegt, daß die Bürokraten in Brüssel zwar einen schlechten Ruf, aber ein überaus komfortables Einkommen haben. So hat die EU-Kommission für zwei Millionen Mark das vermutlich aufwendigste Auswahlverfahren aller Zeiten veranstaltet.
In 37 Städten wurden Räume angemietet, allein in Brüssel drei Messehallen mit 6.000 fein säuberlich in 20er Reihen ausgerichten Klappschreibtischen. Vier Fragenkataloge wurden in elf Sprachen übersetzt und 30.000mal gedruckt. Der Papierberg füllte mehrere Zimmer in Brüssel, die streng bewacht werden mußten, damit niemand vorher an die Fragen kam.
Vor drei Wochen wurden die Fragebogen von einigen hundert Beamten an allen 37 Prüfungsorten gleichzeitig verteilt. Drei Stunden hatten die 30.000 Bewerber Zeit, um ihr Allgemeinwissen unter Beweis zu stellen. Alles für die Katz, einer hat gespickt, der ganze Zirkus muß noch einmal gemacht werden.
Das heißt, mindestens einer hat gespickt, ansonsten muß es in den Brüsseler Messehallen drunter und drüber gegangen sein. Die EU-Kommission sagt, sie habe inzwischen eine Untersuchung eingeleitet, weil ein Prüfling nachweislich alle Fragen schon vorher kannte. „Wir suchen die undichte Stelle“, verspricht der zuständige EU-Kommissar Erkki Liikanen, „dann werden wir einen neuen Termin ansetzen.“
Teilnehmer an den Brüsseler Prüfungen erzählen, daß es in den Messehallen ein munteres Kommen und Gehen gewesen sein soll. Auf der Toilette, auf den Fluren, vor dem Eingang hätten sich einzelne Bewerber per Handy offensichtlich Rat geholt von Freunden, die sich mit der europäischen Einigung auskennen müssen.
Schon aus praktischen Gründen denkt Kommissar Liikanen jetzt darüber nach, wie er die Auswahlprüfung künftig betrugssicherer gestalten könnte. Die ganze Fragebogenaktion ist ohnehin nur der erste Durchgang, um die Bewerber auf überschaubare Gruppen zu reduzieren. 2.000 Vorlaufsieger gehen dann ins schriftliche Halbfinale, 1.000 erreichen das mündliche Finale, und ganze 475 kommen auf die Siegerliste.
Und selbst dann sind sie noch lange nicht eingestellt. Denn die EU-Kommission, vorausschauend wie sie ist, wählt die künftigen Mitarbeiter auf Vorrat aus. Wenn dann in den nächsten Jahren irgendeine Dienststelle Bedarf hat, kann sie sich aus dem Siegerkatalog einen Kandidaten aussuchen. Traditionell bleiben dann immer ein paar Italiener übrig, die alle Prüfungen bestanden haben, aber nie eingestellt werden.
Nicht, daß die EU-Kommission etwas gegen Italiener hätte, es sind nur einfach zu viele im Katalog. Schließlich ist die EU- Kommission verpflichtet, aus allen Mitgliedsländern in etwa im Verhältnis der Bevölkerungszahlen einzustellen. Doch ein Drittel aller Bewerber sind traditionell Italiener, die es aus unerfindlichen Gründen aus ihrem schönen Land ins verregnete Brüssel zieht.
Dort packt sie dann das Heimweh, wie mir ein italienischer Bekannter, der bei der EU-Kommission arbeitet, gelegentlich versichert. „Ich verschleudere hier mein Leben“, jammert er und will nur noch zurück nach Bergamo. Andere versuchen, wenigstens Freunde und Bekannte nachzuholen. Und das ist vermutlich auch die Erklärung dafür, daß der Fragebogen, den irgendein Kommissionsmitarbeiter vor den Prüfungen herausrückte, in Italienisch war. Alois Berger
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