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Italia novanta

■ Bücher zur Fußball-Weltmeisterschaft

WIR LASSEN LESEN

Alle haben den Mund weit aufgesperrt, und sie wirken dabei alles andere als glücklich. Thomas Häßler schaut drein, als suche er ein Mauseloch, in das er sich verkriechen könne, Klaus Augenthaler denkt offensichtlich an ein schönes, frisches Weißbier, Jürgen Klinsmann blickt ergeben gen Himmel, Jürgen Kohler sieht aus, als habe ihn der Teamchef bereits vor Spielbeginn ausgewechselt, Thomas Berthold, als grüble er darüber nach, wie er Hoffmann von Fallersleben noch posthum eine aufs Maul hauen kann, Guido Buchwald sieht aus wie immer, und nur Lothar Matthäus zeigt etwas von jener ehrerbietigen Würde, die man von einem Nationalspieler beim Absingen der Nationalhymne mit Fug und Recht erwarten kann.

Ebenfalls den Mund geöffnet hat Franz Beckenbauer eine Seite weiter. Die Stirn liegt in Falten, der Blick sprüht Adrenalin, die Fäuste sind geballt wie bei einem zornigen Baby. Ob der Teamchef aber gerade wütend ist oder sich bloß freut, läßt sich beim besten Willen nicht erkennen, wiewohl die leicht schelmisch gezückten Augenbrauen auf letzteres schließen lassen.

So beginnt, nach den obligatorischen Jubel-Final-Fotos, das WM-Buch von Harry Valerien, der seit langem dafür bekannt ist, daß er in der Regel für die niveauvollsten Nachbetrachtungen großer Sportereignisse als Herausgeber zeichnet. Er selbst leitet das Werk mit einer langen Revue der besonderen Ereignisse und Aspekte der Fußball -Weltmeisterschaft 1990 ein, in der Diego Maradona und sein alter ego aus dem Reich der Groteske, Guido Buchwald, ebenso wenig fehlen wie Kamerun und Roger Milla, die Schiedsrichter, die gelungene Organisation, der Hooliganismus und die USA, Austragungsort der nächsten WM.

Anschließend analysiert Ludger Schulze fundiert die komplizierte Psyche des vormaligen Teamchefs, dessen „innerer Schweinehund stets das freundliche Naturell anknurrt“ und der sich vom raunzigen Giesinger Gassenjungen in Tateinheit mit personifizierter Eleganz zum kultivierten Adepten eines Konfuzius und Khalil Gibran geläutert hat. Es folgt ein Ausflug in die italienische Volkseele, die bekanntermaßen zum großen Teil vom Fußball okkupiert ist, was schon der heilige Augustinus ahnte, als er den typischen Besucher der Zirkusspiele vor 1.600 Jahren so beschrieb: „Er schaute zu, tobte und nahm von dort seinen Wahnsinn mit nach Hause, nur um wiederzukommen“.

Alsbald geht es dann zügig zur Sache. Spannende und locker geschriebene Reportagen lassen das Geschehen dieser WM noch einmal lebendig werden, in der Vorrunde ersetzen kurzweilige Sampler der verschiedenen Gruppen langatmige Schilderungen der einzelnen Spiele, auf jeglichen Firlefanz wird verzichtet.

Anders in dem von Berti Vogts herausgegebenen Buch, das die 'Kicker'-Redaktion gestaltet hat. Hier wird Spiel für Spiel abgehandelt, dazwischen lauern gnadenlose Resümees des frischgebackenen Bundestrainers auf den arglosen Leser. Aber irgendwas muß er als Herausgeber ja schließlich auch beisteuern. Sprachlich ist das Ganze einige Stockwerke tiefer angesiedelt als das Valerien-Buch. Artikelüberschriften wie „Russ vergab den goldenen Schuß“, „Omam Biyik köpfte den Weltmeister“, „Costa Rica machte die Schotten dicht“, „Scheichs wurden bleich“ sind Programm. Es regieren Knittelvers und brutale Metaphorik.

Dafür überzeugt die Optik. Mit dem größten Format der drei WM-Chroniken ausgestattet, besticht es durch viele eindrucksvolle ganzseitige und doppelseitige Fotos. Hinzu kommen kleine Schmankerl sowie die nettesten Sprüche, mehr oder weniger witzige Anekdoten und die Computeranalysen der deutschen Spiele, aus denen sich beispielsweise entnehmen läßt, daß im Match gegen Jugoslawien (4:1) Augenthaler, Matthäus und Brehme genau gleich viel Ballkontakte hatten, 95 nämlich. Augenthaler gab die meisten Pässe (73) und leistete sich drei Fehlpässe, während Matthäus bei 68 Pässen zweimal patzte. Klar wird, warum Andreas Möller fortan nicht mehr auflaufen durfte. In den 15 Minuten, die er mitwirkte, schoß er zwar einmal aufs Tor, brachte es aber ansonsten gerade mal auf elf Kurzpässe und verlor seine sämtlichen Zweikämpfe, vier an der Zahl.

Den unguten Mittelweg geht das Buch von Dieter Kürten. Jeder Abschnitt der WM wird von einer leicht oberflächlichen Plauderei des Herausgebers eingeleitet, es folgen wenig informative Kurzberichte der Partien und angestrengt tiefsinnige Einsprengsel von Ulrich Kaiser. Das ganze ist mit ungeheuer vielen, oft kleinformatigen Fotos aufgefüllt und hinterläßt einen eher verwirrenden Eindruck. Immerhin verdanken wir diesem Buch die Erkenntnis, daß die Nationalspieler dem frohen Gesange durchaus zugetan sein können, wenn es nicht gerade um die Nationalhymne geht. Medaillenbehangen trällern sie nach dem Finale samt Teamchef und Torwarttrainer aus voller Brust und strahlenden Blickes in die Kamera. Nur Keeper Andreas Köpke, für den es bei dieser WM nichts zu halten gab, schaut betreten drein, während man seinen Leidensgefährten Raimond Aumann barmherzigerweise einfach abgeschnitten hat.

Matti

Harry Valerien: Fußball-WM '90, Südwest Verlag, München; 194 Seiten; 200 Fotos; 39,80 D-Mark.

Berti Vogts: Italien '90, Copress Verlag, München, 216 Seiten, 250 Fotos; 39,80 D-Mark.

Dieter Kürten: WM '90, Mosaik Verlag, München, 208 Seiten, 400 Fotos; 39,80 D-Mark.

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