: Ist eine Frau ein Mensch?
■ betr.: „Wir waschen unsere Hände in Unschuld“ u.a. taz vom 28.1. 98, „Gewissensnot mit Nebenwir kung“, taz vom 30.1. 98
Ich verfolge in den letzten Tagen die Debatte über die Schwangerschaftskonfliktberatung in der Presse und bin, als gebürtige Amerikanerin, erschreckt, wieviel Macht die katholische Kirche in diesem Land hat. Warum Familienministerin Noltes erneute Infragestellung des §-218-Kompromisses und warum das päpstliche Schreiben jetzt?
Ich vermisse in den Medien einen gesellschaftskritischen Blick auf diese Ereignisse. Vermissen tue ich auch – besonders im Feuilleton – komplexe feministische Analysen der christlichen, demokratischen und katholischen Diskurse und eine eindeutige Stellungnahme für das Abtreibungsrecht der Frauen. Hier spürt man die Entpolitisierung, die die deutsche Gesellschaft gespenstisch durchzieht. Hinzu kommt, daß, historisch gesehen, nicht nur die Rechten, sondern auch die Linken gegen das Abtreibungsrecht Position bezogen haben. Ich meine hier natürlich die rechten und linken Männer – ausgenommen ein paar antifeministische Alibifrauen.
Es ist für jeden, der seine Augen offen hat, klar, daß in Sachen Sexualität, Verhütung, Erziehung der Kinder nach wie vor Frauen die größte Verantwortung übernehmen müssen. Ohne dieses Abtreibungsrecht, ohne die Möglichkeit der Verhütung – kurz, ohne die Reproduktionsfreiheit – verlieren Frauen die Möglichkeit, ihr Leben selbst zu bestimmen. Der Papst mußte direkt niemals ein frauenfeindliches Wort sagen, es ist der Logik seiner Lehre zu entnehmen, daß für ihn Frauen nicht Menschen, sondern nur Mütter sein können.
In dieser ganzen Diskussion kollidiert in der Tat dieser religiöse Diskurs mit dem staatlichen, liberalistisch-rationalistischen Rechtsdiskurs, wo im Kontext der speziellen „zweideutigen“ Funktion des weiblichen Körpers die Frau als Individuum nur sehr schwierig wahrgenommen wird. Überall steht geschrieben, die Kirche soll sich der Schwangerschaftskonfliktberatung nicht entziehen, sonst wird nicht mehr „im Sinne des Lebens beraten“. Welches Leben? Das Leben der Frau, ja, die Subjektivität der Frau wird der des Fötus entgegengesetzt, obwohl selbst die empirische Realität im Gegensatz zu diesem Dualismus zeigt, daß die schwangere Frau weder „eins“ noch „zwei“, sondern „eins“ und „zwei“ ist. Ist eine Frau ein Mensch?
Deutsche Journalisten kommentierten in den letzten Tagen die prüde, bigotte amerikanische Reaktion auf die Sexaffäre Präsident Clintons. Daß frau in diesem Land, bevor sie abtreiben kann, verpflichtet ist, sich solch einer Beratung zu unterziehen, zeigt, wie ungeheuer sexuell bigott und unemanzipiert die deutschen Staatsmänner – die deutsche Gesellschaft – sind/ist. Ohne die sexuelle und reproduktive Emanzipation der Frau bleibt die Beziehung zwischen Männern und Frauen, bleibt die Gesellschaft krank. Infolge dessen ist es die Verantwortung von Männern wie Frauen, politisch – und zwar nicht aus einer defensiven, sondern aus einer offensiven Position heraus – das Abtreibungsrecht für Frauen stark zu machen. Denn egal, ob die Kirche sich der Beratung entzieht oder nicht, wenn aus der derzeitigen Diskussion der Kompromiß des § 218 in einem tieferen Sinne wieder in Frage gestellt wird, dann steht nichts weniger als das Abtreibungsrecht der Frauen auf dem Spiel, und dann muß dies als erneute Aufklärungschance benutzt werden. Audrey Berlowitz, Berlin
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