der tazzwei-Ethikrat : Ist dabei sein alles?
Darf man zur Demo nach Heiligendamm fahren, nur um einmal sagen zu können: Ich war dabei?
Mit gebotenem Taktgefühl im Blick auf all jene, die diese Manifestation entschlossensten Glaubens an die antiapokalyptische Kraft, das Pilgern für die Rettung der Welt gern auf sich nehmen, frei von Adabeiallüren und gewiss reinen Herzens, lässt sich sagen: Wozu denn sonst? Schlimm genug, beispielsweise, für einen, der erst beim zweiten Aufmarsch gen Brokdorf im Frühjahr 1977 mit dabei war, selbst wenn er (oder, natürlich, sie) die militante Variante wählte, nicht die Spalterversion der DKP und der Gewerkschaften. Nein, denn die Urdemo fand ja schon 1976 im Herbst statt, hübsch in der Erinnerung garniert mit Regen, Nebel und viel Tränengas der damals für ein antichristliches Bataillon gehaltenen Polizei.
Wer also möchte schon riskieren, in 20 Jahren sagen zu müssen: Heiligendamm? Schöner Ort an der Ostsee, aber die Demo passte einfach in nicht mehr in die To-do-Liste des Tages. Man stünde wie ein Spießer, schlimmer, wie ein Weltverräter da. Die Leute demonstrieren sich den Arsch ab, selbst Grönemeyer und Bono und die Bild-Zeitung schlagen Alarm: Und da soll man später verkniffen einräumen, Heiligendamm für ein politisches Missverständnis gehalten zu haben? So etwa im Sinne von: alles eitel Haschen nach Wind, diese Geblöke um nichts und niemanden. Wer auf sich hält, fährt hin – und lässt Fragen beiseite, weshalb die G-8-Pilgerer nicht ernsthaft einen steinigen Weg auf sich nehmen, sondern in Autos und Bussen angefahren kommen. Schon in zehn Jahren kann dann einer oder eine sagen: Brokdorf, Gorleben, Mutlangen, Wackersdorf, Bielefeld (grüner Antijoschkaparteitag), Genua und Heiligendamm. Kerben im Eventkolben eines jeden, der global denkt und lokal handelt: und sei es, um damit angeben zu können.
Doch das muss uns lieber sein: Selbst ein Pharisäer ist ja immer noch ein Nahestehender von Gottes Sohn – denn er weiß doch in seiner Herzensgrube, dass Heuchelei nicht schön ist, aber die Wahrheit – welche politische auch immer, Hauptsache, man macht einfach mit – ist auch einem und einer PharisäerIn ja nicht verborgen: JedeR in Heiligendamm wird gebraucht – und sei es als Kamerafutter.
So kann es ein gerechter Deal werden: Die Adabeis sind’s zufrieden dann, die echten Politischen auch – die nämlich dürfen sich auf Masse statt Klasse echt was einbilden. Kalt gesagt: Na und?