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Archiv-Artikel

Irritierende Stimmen im Traum

Keine musikalische Berührungsangst am Hochofen: In Duisburg findet das zehnte Traumzeit-Festival statt

Träumen ist erlaubt – auch im fortgeschrittenen Alter. Das Traumzeit-Festival feiert ab Donnerstag das kleinste aller möglichen Jubiläen: Zum zehnten mal wird das ehemalige Hochofengelände im Duisburger Landschaftspark Nord zum Klangzentrum der jazzigen bis folkigen Musikwelt, Rock ‚N‘ Roll inbegriffen. Eingerahmt wird das Festival von zwei unverwechselbaren Gesanges- und Klangstimmen ihres Genres: Der nordirische Sänger und Multi-Instrumentalist Van Morrison wird es am Abend eröffnen. Den Schlussakkord setzt Sonntagabend der amerikanische Saxofonist Sonny Rollins.

Musikalisch will das Festival am Hochofen besonders offen sein und allen Formen zeitgenössischer Musik von so genannter E-Musik bis zum Pop allen Schnittstellen ein Forum bieten: Schon an den Headlinern der letzten Jahre lässt sich das erkennen: Von der Multi-Media-Künstlerin Laurie Anderson, die 1997 bei der ersten Traumzeit dabei war und in diesem Jahr in NRW bei der RuhrTriennale auftritt, über Juliette Greco, Al Jarreau, Chick Corea, den großen alten Kubanern von „Buena Vista Social Club“ um Ruben Gonzalez und Ibrahim Ferrer, Jan Garbarek oder den serbischen Trompeter-König Boban Markovic mit seiner Gypsy Blechmusik im vergangenen Jahr.

Die Headline 2006 ist Van Morrison. „It‘s Too Late to Stop Now“ nannte der seine legendäre Live-Platte aus dem Jahre 1974. Zum damaligen Zeitpunkt hatte er bereits zehn Bühnenjahre hinter sich. Der Them-Hit „Gloria“ und das verträumt kreisende Album „Astral Weeks“ sicherten Jazzer Morrison auch einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Rockgeschichte. In der Folge reiste der eigenwillig verschrobene Sänger mit der brüchigen Bluesstimme durch die Welt, um seine oftmals sparsamen Songs auf der Bühne aufleben zu lassen. Neben der Bühne gibt er sich verschlossen. Interviews? No comment. Für Verwirrung sorgten auch seine religiösen Indifferrenzen: Morrison widmete sowohl seiner Mutter – einer Zeugin Jehovas – als auch dem Scientology-Gründer L. Ron Hubbard jeweils eine Platte. Später bekannte der überzeugte Katholik: „No Guru, No Method, No Teacher“. Während seiner Karriere erschienen mehr als 40 Alben. Das aktuelle Album „Pay The Devil“ überrascht auch seine Fans mit lockeren Country-Anleihen. In Duisburg wird Van Morrison von der Saxofonistin Candy Dulfer unterstützt.

„Es ist für mich völlig ohne Bedeutung, ob ich erfolgreich bin oder nicht.“ Der Satz hätte von Van Morrison stammen können. Gesagt hat ihn aber: Sonny Rollins, der Protagonist des Hardbop, die letzte lebende Jazzlegende. „Tenor Madness“, „Saxophone Collossus“ und etwas peaciger „Freedom Suite“ heißen seine Meisterwerke aus den 1950er Jahren. Rollins wurde damals zum freundschaftlichen Konkurrenten des anderen großen Tenorsaxofonisten seiner Zeit, John Coltrane, erkoren. Wohl fühlte er sich mit der Rolle nie. Vielleicht schränkte er auch deshalb in der Folge sein Pensum stark ein. Seit den 1960ern erschien nur ein knappes Dutzend eigener LPs: bedingt gelungene Ausflüge in den Jazzrock führten zur Besinnung auf die eigenen Roots, die vor allem auf der Bühne zu spüren sind. In der halboffenen Gebläsehalle spielt der 76-jährige Sonny Rollins sein einziges Deutschlandkonzert.

Klaus Doldinger wird erst 70. Der Saxofonist feiert im Landschaftspark Nord gemeinsam mit der WDR Big Band und seiner alten Band Passport. Der „German Allstar“ ist der breiten Masse vor allem durch die markanten Titelmelodien des Wolfgang Petersen-Films „Das Boot“ bekannt. Außerdem klingt er seit 35 Jahren, sonntagabends beim „Tatort“ durch Millionen deutscher Wohnzimmer – dort am Schlagzeug: Udo Lindenberg. Die Party steigt Samstagnacht in der ehemaligen Kraftzentrale.

Weiteres Gäste der Traumzeit sind der Gitarrist Nguyên mit einer Festivalauftragskomposition für sein Septett, ein weiteres Septett um den Kölner Saxofonisten Steffen Schorn, die Bands Kante (Hamburg), Bohren & Der Club of Gore (slowmotion) sowie Lokalmatador und Ex-Flowerpornoe Tom Liwa als angenehmer Rausschmeißer.

HOLGER PAULER

Traumzeit-FestivalLandschaftspark Nord, DuisburgInfos: www.traumzeit-festival.de