Prêt-à-porter: Irritierende Sachlichkeit
■ Kein süßes Versprechen – die Pariser Prêt-à-porter-Schauen sind zu Ende
Am Donnerstag waren die Prêt-à-porter-Schauen in Paris inoffiziell zu Ende. Die großen Modehäuser hatten ihre Kollektionen vorgeführt, und die meisten Journalisten waren abgereist. Nur ein kleiner Rest quälte sich übermüdet und eigentlich unfähig, noch etwas aufzunehmen, am Freitag morgen zu einer letzten Reise durch Paris aus den Betten. Dieser letzte Tag war ausschließlich mit Schauen sehr junger Modeschöpfer besetzt, von denen es kein einziger verdient hatte, so unfreundlich an den Rand geschoben zu werden. Den Anfang machte John Ribbe, ein dreißigjähriger Hamburger, der seit fünf Jahren in Paris lebt. Ribbe zeigte eine Anzahl einfach geschnittener Kleider in immer wieder anderen Stoffen, pastellfarbenen oder solchen aus Spitze, mit durchsichtigem Plastik überzogen. Eine „Reise durch den Garten Eden“ nannte er seine Schau, was mir nicht ganz einleuchtete. Am schönsten war ein einfaches, gerades langes Kleid, dessen Rücken mit einer wunderbar wütend aufgeblähten Schlange bemalt war.
Ribbe erzählte später, daß sich die Jungen bisher nicht dazu durchringen konnten, eine eigene Organisation zu gründen, die ihre Sache bei der Chambre Syndicale vertritt und zum Beispiel etwas günstigere Termine einfordert. Vor zwei Jahren erklärte sich ihr Präsident, Donald Potard, bereit, auch einige ausgewählte junge Modedesigner in den Kalender mit aufzunehmen. Für diese Aufnahme muß man sich offiziell bewerben. Aber selbst wenn man das geschafft hat, braucht man noch einen Sponsor. Immerhin kostet eine Schau laut Ribbe mindestens 250.000 Franc, inklusive Herstellung der Kollektion, Licht, Musik, Miete für den Raum und Models. Die Unterstützung der Chambre Syndicale erschöpft sich darin, pro Saison zwei junge Designer kostenlos den kleinen Saal im Carrousel benutzen zu lassen. „In der letzten Zeit gab es eine ziemliche Unzufriedenheit mit der Auswahl. Es war auffällig, daß es fast immer nur Franzosen waren, die im Carrousel vorführen durften“, erzählt Ribbe.
Wenn man sich umschaut, kommen allerdings die wenigsten Designer aus Frankreich. Eine der besten Kollektionen zeigte am Freitag Dice Kayek, eine junge Türkin. Kayek klaubte aus den 70er Jahren alles zusammen, was nicht blümchenhaft, kindlich, kulleräugig und daumenlutschend war, und mixte es mit synthetischem Material. Ihre Schlaghosen waren mit scharfen Bügelfalten in Form gebracht. Hemden und Jacken hatten häufig eine schimmernde Vorderseite aus durchsichtigem Plastik, aber das war eher eine unwirsche Herausforderung als ein süßes Versprechen. Die Hemden wurden meist mit einem sachlichen Reißverschluß geschlossen. Ein großer spitzer Kragen, Manschetten und Taschen, die alle aus dem schwarzen oder weißen Baumwollstoff des Rückenteils angesetzt waren, bewirkten, daß diesen Anzügen trotz des an der Vorderseite durchsichtigen Materials etwas Korrektes anhaftete. Etwas Ähnliches gelang ihr auch bei den hautengen Kleidern aus schwarzem glänzendem Jersey, die in Bahnen zusammengenäht waren, so daß der Rock unten ausschwingen konnte. Je zwei Nähte vorn und hinten in der Mitte waren zusammengesteppt, so, wie man manchmal Bügelfalten bei engen Hosen zusammensteppt, damit sie sich nicht glätten. Andere Kleider zeichneten zwar genau die Figur nach, doch bildeten die dicht aufgenähten schimmernden schwarzen und weißen Pailletten kühle graphische Muster. Bei allem Sex hatten Kayeks Kleider immer eine irritierende Note von Sachlichkeit. Neben ihr wirkte die ebenfalls von den 70ern inspirierte Kollektion von Paco Rabanne fast etwas altmodisch.
GR 816 nennt sich ein Designerduo, das aus zwei Franzosen besteht: Gilles Rosier und Claude Sabbah. Mit Plastik hatten die beiden rein gar nichts im Sinn. Das am häufigsten verwendete Material bei ihrer Kollektion waren grobes Leinen und ein handgewebter Stoff, der ebenfalls eine Leinenstrukur aufwies. Die Farben hatten so natürliche Namen wie Vanille, Elfenbein, Karamel und Sepia. Klingt schrecklich, was? War aber genau das Gegenteil. Statt dessen sah man ein paar äußerst unternehmungslustige kreolische Mädchen, die sich für den Samstag abend zurechtgemacht hatten und ihre Kavaliere. Die Männer trugen schwarze, grob gewirkte Baumwollanzüge mit braunen Nadelstreifen. Dazu eine gemusterte Weste, einen Strohhut und Herrenschnürschuhe, die hinten offen waren, was aussah, als sei der hintere Rand einfach runtergelatscht worden. Es machte wegen des Stoffs einen lässigen Eindruck, aber gleichzeitig waren die Anzüge so dandyhaft, wie ein Strizzi das eben hinbekommt. Die Mädchen trugen enge bedruckte Röcke mit gepunkteten Blusen, die kleine Puffärmel hatten. Dazu Netzstrümpfe und flache Latschen an den Füßen. Als wären sie vor dem Tanzen noch eben Milch für die Familie holen gegangen. Einige Röcke waren längs der Mittelnaht hinten hochgerafft, so daß der vorn knielange Rock hinten gute zehn Zentimeter kürzer wurde. Den Saum zierte ein gepunkteter Volant. Es war nicht im geringsten kitschig. Dazu waren die Kleider aus zu grobem Material. Die Volants waren nicht einfach gelegt, sondern umgeschlagen, so daß sie sich mit Luft füllten, was weniger kokett als lustig aussah. Besonders fein rausgeputzt hatte sich ein Mädchen in einem langen weißen Rock, der in viele Falten gelegt und am Saum ebenfalls mit einem Volant verziert war. Darüber trug sie ein kleinkariertes Kleid, das mit Bändern an den Seiten hochgerafft war, so daß man den weißen Rock sehen konnte. Insgesamt mehr Phantasie als Geld.
Soll ich wirklich etwas über Trends sagen? Mehr noch als im Winter hatte ich das Gefühl, daß jeder Designer einfach das macht, was er am besten kann. Grob kann man sagen, daß die Kleider und Jacken weniger stark figurbetont geschnitten sind. Das 60er- Revival ist noch nicht ganz vorbei, und so sitzen viele Hosen und Röcke auf den Hüften, ungefähr in der Höhe, wo Männer ihre Jeans tragen. Neben dem obligatorischen Schwarz und Weiß gab es viele kräftige Farben. Überraschend daran war nur, daß viele Designer eine Reihe von braunen Kleidern zeigten. Die Stoffe glänzen, und vielleicht ist das der Grund, daß praktisch niemand an PVC-Materialien vorbeiging. Die Deo-Industrie wird boomen. Anja Seeliger
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