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Irreführung

„Waikiki Beach“ von Marlene Streeruwitz in Köln  ■ Von Gerhard Preußer

Sex, Gewalt und Korruption — daraus macht man Titelgeschichten für die 'Bild‘-Zeitung. Sex, Gewalt und Korruption — das ist auch das Material des europäischen Theaters seit der Antike. Waikiki Beach ist ein Stück, so trivial, wie nur die 'Bild‘-Zeitung sein darf, und so reflektiert, wie die Kunst heute sein muß.

Marlene Streeruwitz ist eine Entdeckung. Ihre Entdeckung ist zwar schon einige Zeit her: zwei Jahre hat es gedauert von dem Porträt in der Zeitschrift 'Theater heute‘ bis zu ihrem Bühnendebüt als Dramatikerin, und jung ist die Debütantin, Jahrgang 1950, auch nicht mehr. Bisher waren nur ihre Hörspiele gesendet worden, und seit kurzem arbeitet sie auch als Regisseurin am Wiener Schauspielhaus. Aber nun stellt sich das Kölner Schauspiel mit vollem Engagement hinter die neue Autorin. Noch in dieser Spielzeit soll eine weitere Uraufführung folgen. Drei andere Srücke liegen in der Schublade, in Wien.

Waikiki Beach — der Titel führt uns nach Hawaii zum Urlaubstraum des Ferntourismus mit Hula-Girls in Baströckchen und sanftem Gitarrenjaulen. Waikiki Beach — der Titel führt uns in die Ferne und damit in die Irre. Hier und jetzt spielt das Stück, in irgendeiner Großstadt, vorzugsweise Wien. Irreführung scheint ein dramaturgisches Prinzip des Stückes zu sein. Zunächst meint man, es sei eine Gesellschaftskomödie.

Chefredakteur Michael Perciwal hat ein Verhältnis mit der Bürgermeistersgattin Helene Hofrichter. Doch auch Seitensprünge machen müde, so verliert das Paar die Lust und redet sich in den außerehelichen Zwist hinein. Die Pointen sind manchmal spitz und manchmal platt. Michael liest die Gebrauchsanweisung für ein Vaginalsuppositorium vor und appliziert es eigenhändig. Helene stöhnt andererseits. „Kein Mann will ficken — jedenfalls nicht, wenn ich will.“ Michael hofft auf sachlichen Sex ohne Gefühle und sehnt sich nach Arbeit und Vernunft. Mal nonchalant, mal drastisch werden die Gräben für den Stellungskrieg der Geschlechter gezogen. Nur die Szenerie ist etwas unheimlich: ein Abbruchhaus, das ehemalige Redaktionsbüro des frustrierten Verführers, ein naßkaltes Liebesnest.

Die Gesellschaftskomödie kippt plötzlich um ins Traumspiel. Aus einem Lumpenhaufen im verlassenen Loft schält sich eine Stadtstreicherin und lacht über die vergeblichen Liebesfaxen des zänkischen Paars. Sie wird zum Katalysator für Rückblenden in die politisch verschachtelte Ehehölle der Partner: Der Herr Bürgermeister will den Chefredakteur mit Tonbandaufnahmen von Aussagen seiner angeblich alkoholsüchtigen Frau erpressen, in denen sie ihn des Inzests bezichtigt. Der Herr Chefredakteur revanchiert sich mit Fotos des Bürgermeisters mit einer schwarzen Prostituierten. Dann wird aus dem bitteren Traumspiel eine blutige Farce. Eine Schlägerbande überfällt das schon arg gebeutelte Paar. Er kann entkommen, sie und die Stadtstreicherin werden zusammengeschlagen. Tot werden sie dann von den konkurrierenden Männern gefunden. Chefredakteur und Bürgermeister schließen über den Leichen einen Vertuschungspakt zum beiderseitigen Nutzen. Die Frau kommt in die Plastikplane, weg damit.

Eine Komödie? Mitnichten. Realismus? Iwo. Zitate, Parodien und Fiktionsbrüche verfremden die Klischeekonstruktion der Fabel immer wieder. Plötzlich erstarrt das Paar auf der Sperrmüllcouch zum Standbild, und herein flanieren drei dickliche Ausstellungsbesucherinnen. Ihr Interpretationsgeschwätz über die Unmöglichkeit des Realismus in der heutigen Kunst erläutert die Ästhetik des Stückes und veralbert sie zugleich. Shakespeare, Aischylos und Puccini werden in die krude Kolportage einmontiert. Plötzlich sprechen Michael und Helene ihre Abschiedsszene mit den englischen Worten Antonios und Cleopatras. Die Stadtstreicherin bricht plötzlich in Toscas Unschuldsarie aus. Nach der Totschlagsorgie der adretten Faschobande kommen drei Greise, geführt von Krankenschwestern, auf die Bühne und rezitieren Verse aus der Orestie: der Chor der alten Männer von Argos berät, was nach der Ermordung Agamemnons durch Klytemnästra zu tun sei. Hart sind die Kontraste gesetzt, krass ist die Willkür der Fabel, schwarz der Humor: ein ungemütliches Strandspiel.

Die Uraufführungsinszenierung von Torsten Fischer beginnt erst um 21Uhr. Den Grund kennt man, sobald man die Schlosserei des Schauspielhauses betritt: Die hohe Fensterfront bleibt unverdeckt, die Abenddämmerung beleuchtet matt sie Szene. Das Bühnenbild von Jens Kilian besteht im wesentlichen aus einer Wasserlache auf dem Fußboden. Die Schlosserei gähnt leer in ihrem Urzustand: Sichtbeton. Nach draußen blickt man auf orangefarbene Baucontainer. Von dorther tritt auch das beschwipste Pärchen auf, von dort her bricht auch die Bande ein und schlägt ein Fenster krachend ein, daß die erste Reihe meint, sich vor den herumspritzenden Splittern schützen zu müssen. Die Inszenierung spielt mit der Irreführung ebenso virtuos wie das Stück: Hyperrealismus schlägt um in raffinierte Künstlichkeit, wenn dann Laien tonlos Aischylos-Texte verstümmeln, und die Stotterin herzzerreißend und ohrenerweichend mit der Stimme von Maria Callas singt. Mit erbarmungslosem Tempo wird das Stück in eineinhalb Stunden über die Bühne gejagt. Um so stärker ist der Eindruck, wenn man wieder Atem holen kann.

Marlene Streeruwitz: Waikiki Beach. Kölner Schauspiel (Schlosserei), Regie: Torsten Fischer, mit Gertrud Roll, Martin Reinke, Elfi Garden. Weitere Vorstellungen: 27.April, 3., 7., 12., 13., 14. und 22.Mai.

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