Iraker kämpft um seine Wohnung: Die alte Dame und der Flüchtling
Wie ein Vermieter durch Hinhaltetaktik einem kriegstraumatisierten Mann, der Anschluss suchte und fand, das Leben schwermacht.

Fühlt sich vom Vermieter verschaukelt: Azad Khalil Aziz Foto: privat
Eigentlich ist die Geschichte wie gemacht für ein Happy End. Im Frühjahr 2017 ist Azad Khalil Aziz, ein kurdischer Flüchtling aus Bagdad, seit knapp einem Jahr in Berlin. Er fühlt sich einsam und verloren, seine Familie ist in Irak, erst seit Kurzem lebt er bei einem Bekannten in einer Wohnung in Spandau. Da lernt er im Treppenhaus eine Nachbarin kennen, Ingeborg Teichmann, eine alte Dame. Sie sei ebenfalls einsam gewesen, erinnert sich der 31-Jährige, noch dazu an Krebs erkrankt. „Aber sie war so ein guter Mensch und wir haben uns gleich gut verstanden.“
Die beiden freunden sich an, zwei Monate später zieht Aziz bei ihr ein. Er kümmert sich um den Haushalt, geht einkaufen, pflegt die alte Frau. „Im Irak habe ich das auch schon gemacht in einem staatlichen Krankenhaus“, erzählt er. In Berlin macht er in Reinickendorf ein Pflegepraktikum, danach arbeitet er im Gemüsegroßhandel. „Aber wegen Frau Teichmann habe ich dann weitere Arbeit abgelehnt, ich wollte ihr helfen.“
Doch seine Mitbewohnerin wird immer kränker, im Sommer 2018 kommt sie für drei Monate ins Krankenhaus. „Ich war jeden Tag bei ihr“, berichtet Aziz.
Als klar geworden sei, dass Ingeborg Teichmann nicht mehr lange zu leben hat, habe sie einen Brief aufgesetzt an ihren Vermieter, die Firma Ado Immobilien, erzählt der Iraker. Darin habe sie erklärt, Azad Khalil Aziz – damals offiziell als Untermieter bei ihr gemeldet – solle Nachfolger in ihrer Wohnung werden, wenn sie stirbt. Doch Ado, ein Großeigentümer, dem nach eigenen Angaben in Berlin rund 24.000 Wohn- und Gewerbeeinheiten gehören, habe nicht reagiert. Er sei dann in die Geschäftsräume der Firma gegangen, berichtet er weiter, mehrmals habe er versucht die Sache zu klären, aber immer nur verschiedene mündliche Auskünfte bekommen. Irgendwann habe ihm eine Mitarbeiterin gesagt, alles sei ihn Ordnung. „Ich dachte, jetzt wird alles gut“, erzählt Aziz in passablem Deutsch.
Wenn der Hauptmieter stirbt
Am 1. November stirbt Ingeborg Teichmann. Am 5. November, so Aziz, sei er wieder zu Ado gegangen: „Doch auf einmal hieß es, ich hätte keinen Anspruch auf die Wohnung!“ Aziz ist verzweifelt, er weiß nicht, was tun. Ohnehin ist er psychisch labil, weil sein Vater und sein Bruder kürzlich im Irak einem Anschlag zum Opfer fielen. Ein Attest, das der taz vorliegt, bescheinigt ihm schwere Depressionen bis zur Suizidgefährdung. Zur Trauer und Einsamkeit kommt nun die Wut, Aziz fühlt sich von der Firma Ado verschaukelt.
Der Iraker sucht sich juristischen Beistand, den auf Mietrecht spezialisierten Rechtsanwalt Hannes Poggemann. Für den ist der Sachverhalt klar, wie er auf taz-Anfrage erklärt: „Haushaltsangehörige können qua Gesetz in einen Mietvertrag eintreten, wenn der Hauptmieter stirbt.“ Qua Gesetz bedeutet, der Vermieter kann den neuen Mieter nur aus ganz besonderen Gründen ablehnen.
„Wenn ich aus der Wohnung rausmuss, bring ich mich um“
Dass Aziz ein Haushaltsangehöriger ist, daran besteht für seinen Anwalt kein Zweifel: Es gebe Nachbarn, Freunde, die das gemeinschaftliche Zusammenleben der alten Dame und des Flüchtlings bezeugen könnten. Der taz liegt zudem ein Schreiben von Teichmann vor, aus dem hervorgeht, dass sie möchte, dass Aziz ihre Wohnung übernimmt. Zudem hat sie ihm in einem handschriftlichen Testament ihre Möbel vermacht.
Der Vermieter hingegen bezweifelt ein gemeinschaftliches Zusammenleben der beiden. Es stehe in Frage, ob Aziz „und die verstorbene Frau Teichmann tatsächlich einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt führten“, schrieben die Anwälte des Vermieters, einer Großkanzlei mit Schwerpunkt Wirtschaftsrecht, an Poggemann. Zudem sei Aziz in den Geschäftsräumen von Ado einmal so aggressiv aufgetreten, dass die Polizei herbeigerufen worden sei – was „sicherlich nicht geeignet sei, eine Zumutbarkeit der Fortsetzung des Mietvertrags“ zu begründen.
Aziz bestätigt, dass er bei seinem letzten Besuch wohl etwas laut geworden sei. „Ich kann einfach nicht verstehen, warum man mich monatelang hinhält“, erklärt er. Wobei – eine Vermutung hat er schon: Für Ado sei es natürlich lukrativer, die Wohnung nach seinem Auszug neu zu vermieten.
Derweil macht die Ungewissheit, wie es weitergeht, Aziz schwer zu schaffen. Er schläft noch weniger, kann sich auf nichts konzentrieren, alles dreht sich nur noch um die Wohnung. Auch finanziell wird seine Lage immer angespannter, ohne Mietvertrag kann er sich keinen Untermieter suchen, und das Geld vom Jobcenter reicht hinten und vorne nicht. Im Moment weiß er eigentlich nur eins: „Wenn ich aus der Wohnung raus muss, bring ich mich um.“
Leser*innenkommentare
Fakten_statt_Fiktionen
@ URANUS
,,Zudem: Existenzängste können Sie sich nicht vorstellen, was?"
Daraus kann auch ein ,, dringendes Wohnbedürfnis" abgeleitet werden, welches den Eintritt in den Mietvertrag begründet. In Berlin wird sicher nicht gleich eine angemessene Wohnunterkunft zur Verfügung stehen.
@ SUSANNE MEMARNIA
,,Das Jobcenter zahlt aber nur einen Teil der Miete, die sich sie ja vorher geteilt haben."
Ist es rechtlich nicht so, dass das Jobcenter der Weiternutzung der aktuellen Wohnung, mit einer Kostensenkungsaufforderung, zustimmen muss? Also das Jobcenter zahlt beispielsweise für 6 Monate die volle Miete und Herr Aziz muss in dieser Zeit nachweisen, dass er sich darum bemüht, z.B. eine günstigere Wohnung zu finden.
Allerdings ist auch ein Wohnungswechsel mit neuen Kosten verbunden. Den Umzug und alles andere dürfte in diesem Fall das Jobcenter zahlen müssen. Ob innerhalb von ein paar Monaten eine neue Wohnung gefunden wird, die nach den Angemessenheitskriterien des Jobcenters kostendeckend sein dürfte,..... nun ja....in Berlin und mit dem doppelten Pariastatus (AlG-2-Bezieher und Flüchtling) halte ich für sehr ambitioniert.
Odradek
Wie kann man vor dem Vermieter so aggressiv auftreten, dass die Polizei gerufen wird und dann erwarten, dass man einen Mietvertrag bekommt?
kritikderkritikderkritik
@Odradek Dass jemand die Polizei ruft sagt ja nicht, dass das wirklich notwendig war. Das kann auch schon passieren, wenn in so einer Situation jemand sich aufregt und auf die Aufforderung zu gehen nicht gleich nachgibt. Zum Beispiel, weil ihm vorher gesagt wurde, alles sei in Ordnung, und er sich um sein Recht geprellt fühlt. Wenn die Polizei oder der Eigentümer Anzeige erstattet hätte wegen irgendetwas strafbarem wäre das vermutlich erwähnt worden.
Uranus
@Odradek Das steht im Artikel:
"Aziz ist verzweifelt, er weiß nicht, was tun. Ohnehin ist er psychisch labil, weil sein Vater und sein Bruder kürzlich im Irak einem Anschlag zum Opfer fielen. Ein Attest, das der taz vorliegt, bescheinigt ihm schwere Depressionen bis zur Suizidgefährdung. Zur Trauer und Einsamkeit kommt nun die Wut, Aziz fühlt sich von der Firma Ado verschaukelt."
Zudem: Existenzängste können Sie sich nicht vorstellen, was?
th-nachdenklich
Wenn der Herr Aziz in keinem Verwandtschaftsverhältnis mit der Mieterin stand sondern "nur" der Untermieter war, wie kann er denn in den Mietvertrag durch einseitige Erklärung eintreten? Zu einem Vertrag gehören immer zwei Parteien. Ich befürchte, dass der Artikel nicht vollständig informiert. Dem Betroffenen wünsche ich aber viel Erfolg bei der Wohnungssuche.
Susanne Memarnia
Redakteurin taz.Berlin, Autorin des Artikels
@th-nachdenklich Herr Aziz war zunächst Untermieter und als solcher offiziell gemeldet, dann wurde das Verhältnis enger, die beiden führten einen "gemeinsamen Haushalt". Dafür muss man nicht verwandt sein. Es reicht, wenn einer für den anderen einsteht, man sich umeinander kümmert, z.B. einander pflegt, gemeinsam kocht, einkauft etc. So wie Aziz es für Frau Teichmann getan hat...
Fakten_statt_Fiktionen
@th-nachdenklich @ TH-NACHDENKLICH
,,Wenn der Herr Aziz in keinem Verwandtschaftsverhältnis mit der Mieterin stand sondern "nur" der Untermieter war, wie kann er denn in den Mietvertrag durch einseitige Erklärung eintreten? "
Herr Aziz hat mit der älteren Dame eine Wohngemeinschaft gebildet (WG). Die Hauptmieterin ist gestorben und der Vermieter kann jetzt nicht deren Untermieter (WG -Mitbewohner) vor die Tür setzen. Dazu fehlt ihm die Rechtsgrundlage. Der Vermieter kann jetzt prüfen, wie er eine legale Kündigung durch bekommt. Der Vermieter muss aber erst einmal das Mietverhältnis mit dem Untermieter fortsetzen. Herr Aziz hat zwar keinen Mietvertrag mit Ado Immobilien abgeschlossen, er war ja nur Untermieter. Er wird aber jetzt zu einem Erben mit Rechten und Pflichten. Das Mietverhältnis muss also bis auf weiteres fortgesetzt werden. Verstirbt ein Mieter ist es ja nicht so, als wenn sich jetzt deren Vertrag mit sofortiger Wirkung auflöst. Die Erben bzw. der Untermieter wird nun in die Pflicht genommen.
Fakten_statt_Fiktionen
Dem schließe ich mich an. Wir haben an einen Syrer vermietet. Eine ausschließliche positive Erfahrung. Mittels Abtretungserklärung wurde die Miete vom Jobcenter direkt an uns überwiesen.
Leider haben wir nichts frei, sonst hätte ich dem Mann gerne geholfen.
91381 (Profil gelöscht)
Gast
Ich finde es einerseits sehr erfreulich, dass die taz hier beide Seiten darstellt.
Gleichwohl sehe ich eine sehr einseitige Berichterstattung mit Ungereimtheiten, obwohl der Bericht nicht als Kommentar gekennzeichnet ist.
Ich entnehme diesen wenigen Fakten, dass die Recherche durchaus "dünn" gewesen sein muss. Andere Themen haben scheinbar kein Rechercheinteresse gezeigt.
Obwohl Hr. Aziz beim letzten Besuch nur "etwas laut geworden ist" musste ein Polizeieinsatz erfolgen.
Die Kosten des Polizeieinsatzes wurden Hr. Aziz (oder – wenn unbegründet der ADO?) auferlegt oder durften dies die Steuerzahler (wieder einmal) übernehmen? Keine Aussage!
Lt. Anwalt führten „Hr. Aziz und die verstorbene Frau Teichmann einen auf Dauer angelegten gemeinsamen Haushalt“.
Wie kann es da mit dem Geld vom Jobcenter (oder konkreter: mit dem Geld der Steuerzahler – ich nenne es „Nachbarschaftsgeld“, quasi die Nachbarn oder Mitbürger zahlen) knapp werden? Wurde der gemeinsame Haushalt ordnungsgemäß angegeben und bei der bisherigen Leistungsbemessung berücksichtigt?
Das möchte ich doch schwer hoffen.
Fr. Teichmann hat „erklärt“, dass Hr. Aziz Nachfolger ihrer Wohnung werden soll. Ich finde es interessant, dass dies durch einseitige Erklärung funktionieren soll. Ich entnehme den mehrfachen Besuchen beim Vermieter, dass dieser dies „durch Schweigen“ abgelehnt hat.
Ich darf doch schwer hoffen, dass Hr. RA Poggemann nicht auch noch vom Steuerzahler bedient wird, sondern Hr. Aziz selbst für seine Kosten aufkommt.
Leider sagt der Artikel dazu nichts. Es würde mich aber sehr beruhigen.
Susanne Memarnia
Redakteurin taz.Berlin, Autorin des Artikels
@91381 (Profil gelöscht) Finanziell eng wird es für Herrn Aziz seit dem Tod von Frau Teichmann, weil er nun ja für die volle Miete aufkommen muss. Das Jobcenter zahlt aber nur einen Teil der Miete, die sich sie ja vorher geteilt haben. Für die Anwaltskosten kommt Herr Aziz selbst auf.
91381 (Profil gelöscht)
Gast
@Susanne Memarnia Vielen Dank für die Zusatzinfos.
Ich bin gespannt, wie das Verfahren ausgeht - kann man nur dazulernen.
Vielleicht berichten Sie darüber; würde mich freuen.
Merkwürdig finde ich dabei, dass Hr. Aziz für die volle Miete aufkommen "muss". Lt. Mieterschutzverein Münster besteht ursächlich kein Vertrag zw. Vermieter und Untermieter und damit auch kein Zahlungsanspruch für die volle Miete. Und selbst wenn man direkt zahlt, entsteht angabegemäß dadurch auch kein direktes Vertragsverhältnis, zumindest nicht automatisch und schon gar nicht, wenn der Vermieter (wie hier) ablehnt.
Von daher ein spannender Fall und interessant, wie ein Gericht die spezielle Situation beurteilt.
www.mieterschutzve...etverhaeltnis.html
Fakten_statt_Fiktionen
@91381 (Profil gelöscht) @ FAKTEN PRÜFER
,,Die Kosten des Polizeieinsatzes wurden Hr. Aziz (oder – wenn unbegründet der ADO?) auferlegt oder durften dies die Steuerzahler (wieder einmal) übernehmen?"
Sie können belegen, dass für derartige Einsätze, die Polizei einen Gebührenbescheid verschickt? Wäre nämlich eine profitable zusätzliche Einnahme, beispielsweise bei jedem Verkehrsunfall, mit minds. einem "Schuldigen", eine private Rechnung an den Bürger zu schreiben. Sicher machen Sie sich derartige Gedanken auch, wenn es sich nicht um den Bürger Azad, sondern Axel handelt.
,,Wurde der gemeinsame Haushalt ordnungsgemäß angegeben und bei der bisherigen Leistungsbemessung berücksichtigt?"
Sie haben sich die Frage doch schon selbst beantwortet: Haushaltsgemeinschaft. Für die Jobcenter ist am Anfang wichtig zu klären, ob es sich um eine Bedarfsgemeinschaft handelt. Sollte ein Mitarbeiter aus der Jobcenter - Leistungsabteilaug daran zweifeln, dann wird eben eine eidesstattliche Erklärung abgegeben, dass es sich hier um eine Haushaltsgemeinschaft und nicht um eine Bedarfsgemeinschaft handelt. Ganz einfach und schnell geklärt.
,,Ich finde es interessant, dass dies durch einseitige Erklärung funktionieren soll."
Und ob das funktioniert. Ich kenne in meinem Bekanntenkreis zwei Beispiele. Solche Altverträge sind manchmal Gold wert.
,,Ich darf doch schwer hoffen, dass Hr. RA Poggemann nicht auch noch vom Steuerzahler bedient wird, sondern Hr. Aziz selbst für seine Kosten aufkommt."
Beratungshilfe. Prozesskostenhilfe. einfach mal den Googelator anwerfen. eine wichtige, hilfreiche, sozialstaatliche Errungenschaften. Wie viele Bürger haben in diesem Land keine Rechtsschutzversicherung? 70, 80 %?
Uranus
Alles Gute für Herrn Aziz! Die Häuser denen, die sie brauchen!