Irak stellt sich auf „Bodenkämpfe“ ein: „Gebäude sind nur aus Zement“
■ Bagdads Infrastruktur ist offensichtlich erheblich zerstört worden. Die Bevölkerung der irakischen Hauptstadt ist jedoch nicht völlig demoralisiert — so jedenfalls der Eindruck unseres Korrespondenten, der sich nach Tagen wieder gemeldet hat. Auch dieser Text unterlag einer Zensur.
Aus Bagdad Khalil Abied
Bagdad, den 27. Januar. Seit neun Tagen wird die irakische Hauptstadt unaufhörlich bombardiert, zahllose Häuser in dichtbevölkerten Wohngebieten sind zerstört, in allen Teilen der Stadt hat es Tote und Verletzte gegeben. Ein Augenzeuge erzählte mir, wie während der Bombardierung des „Saddam-International“-Flughafens seine Gasse in Al-Ameria zerstört wurde: „Fast 50 Leute sind gestorben, und 200 wurden verletzt.“ Doch die Angst, die viele Menschen in den ersten beiden Tagen des Dauerbombardements erfaßt hatte, ist seit dem Beginn der Raketenangriffe gegen Israel einem unerwarteten Selbstvertrauen gewichen. Schon allein die Tatsache, daß ein arabischer Führer einen Angriff gegen Israel wagte, ist für die Iraker offenbar von großer Bedeutung und hat die Stimmung in der Stadt merklich verändert.
Im Zentrum Bagdads hocken an diesem Sonntag einige Soldaten an ihren Abwehrstellungen, während ihre Kollegen auf einem kleinen Schotterplatz Volleyball spielen. In den Teehäusern sitzen die Leute, rauchen Wasserpfeife und diskutieren. Im Frisiersalon ist Hochbetrieb. Die Kinder spielen in den Gassen Fußball. Die meisten meiner Gesprächspartner geben sich siegessicher, sie sind überzeugt, daß ihr Land den Krieg gewinnen wird. „Wir glauben unserem Präsidenten, Gott schützt ihn. Er hat uns versprochen, daß er Israel angreifen wird, und er hat es auch getan. Er hat gesagt, daß wir uns gegen die Luftangriffe wirksam verteidigen werden, und so ist es gekommen. Saddam Hussein hat uns versprochen, daß er uns zum Sieg führen wird, und wir vertrauen ihm.“
Alle beteuern sie ihre Zuversicht, die Hausfrau, der Taxifahrer und der Offizier. Jahrzehntelang hatten die arabischen Führer, Könige und Präsidenten ihren Völkern versprochen, den Kampf gegen Israel aufzunehmen und das Palästina-Problem zu lösen, doch „keiner von ihnen“, so erzählt mir Saleh, ein irakischer Soldat, „besaß den Mut, dieses Versprechen einzulösen. Saddam Hussein aber blufft nicht, er steht zu seinem Wort. Wir haben einen Führer, der die Welt zwingen wird, uns zu respektieren.“
Neun Tage hält das Regime den Luftangriffen der Allianz nun schon stand. Mit seinen Parolen, er werde die Palästinenserfrage lösen, die heiligen Orte Mekka und Medina befreien und die Ölschätze unter den arabischen Völkern verteilen, hat Saddam, so scheint es, die Moral nicht nur der irakischen Bevölkerung gestärkt. Wie man hört, ist die Stimmung auch in den umliegenden arabischen Ländern der Anti-Irak-Koalition umgeschlagen. Die Tatsache, daß er den „Ungläubigen“ die Stirn bietet, macht ihn heute zum Helden der Araber. Und dieser Stimmungsumschwung hat den Leuten in Bagdad Mut gemacht, das Alltagsleben in der 4-Millionen-Stadt normalisiert sich, je mehr Scud- Raketen auf das befeindete Israel niedergehen.
Den Krieg spürt man in den Wohngebieten der Reichen
Schon seit dem zweiten Tag der Bombardements haben einige Läden bereits wieder geöffnet. Saddam hatte angeordnet, daß zumindest jedes Parteimitglied, das ein Geschäft besitzt, seine Waren anzubieten habe. In den Wohngebieten Kadimya, Adimya, Baladyat und Al-Thawra, die ich besuchen konnte, funktionierten auch die großen Märkte wieder; Gemüse, Fleisch, Apfelsinen und Datteln wurden in gewohnter Lautstärke feilgeboten. In diesen ärmlichen Wohnvierteln hatten nur wenige Menschen ihre Häuser verlassen, so daß es den Anschein hatte, daß das Leben hier ganz normal weiterging. Nur in Wohngebieten der Reichen spürte man, daß Krieg war, ihre Bewohner hatten die Stadt fluchtartig in Richtung Norden verlassen. In einigen Teilen der Stadt fuhren auch wieder Busse. Es war relativ schwer, in Bagdad herumzufahren, da es kein Benzin gab. Die Regierung hatte am 24. Januar, nach sechs Tagen Krieg, die Ausgabe von Benzin gestoppt, um die Verteilung besser in den Griff zu bekommen. An einigen Stellen konnte ich beobachten, wie von Lastwagen aus Brot an die Bevölkerung ausgegeben wurde — zu staatlich festgelegten Preisen. Auch die Stadtreinigung hatte ihre Arbeit wieder aufgenommen.
Dabei hatten die Iraker vor Beginn des Krieges eine Höllenangst gehabt vor der Bombardierung — nicht zuletzt wegen der anhaltenden US-Propaganda. Sie glaubten, daß die multinationalen Luftstreitkräfte Bagdad mit ihren Bomben in nur wenigen Stunden total zerstören wollten und konnten. Eine geradezu fatalistische Stimmung hatte sich breitgemacht. Nur wenige Stunden vor Ausbruch des Krieges hatte Huda, eine 35jährige Witwe und Mutter von zwei Kindern, mich angerufen und mir ihren Besuch angekündigt. Sie wollte sich mit ihrem Sohn und ihrer Tochter ein letztes Mal die Stadt ansehen. Huda war überzeugt davon, daß der Krieg in wenigen Stunden beginnen werde. Wir lachten und machten uns über ihre Furcht lustig. Die beiden Kinder sprachen unbeschwert von der Schule, sie hatten keinerlei Vorstellung vom Leben im Krieg. Ich selbst konnte mir bis zu diesem Moment nicht vorstellen, daß die Amerikaner und die alliierten Nationen diesen Wahnsinnskrieg tatsächlich wagen würden.
Um 2.30 Uhr — seit Mitternacht lag ich in meinem Bett, im Hotel „Bagdad“ — wurde ich durch den Lärm von Explosionen geweckt. Vom Balkon aus sah ich einen Himmel, der glühte wie bei einem Feuerwerk. Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich stand wie angewurzelt und rauchte eine Zigarette. Erst der Ruf „Alle in den ,night club‘“ schockierte mich so, daß ich anfing zu zittern und zur nächsten Zigarette griff. Minutenlang blieb ich noch stehen und kämpfte gegen meine Tränen. Im „night club“, dem Luftschutzraum des Hotels, versammelten sich die Gäste. Es gab schon keinen elektrischen Strom mehr, einige hatten batteriebetriebene Transistorradios dabei.
Am Morgen nach dem ersten Bombenangriff fuhr ich durch Bagdad. In den Straßen waren viele Familien mit Gepäck unterwegs, Hunderte Volksmilizionäre gingen auf und ab, einige trugen Gasmasken, alle waren sie mit Kalaschnikows bewaffnet. An diesem Tag wurden der Präsidentenpalais, das Verteidigungsministerium und die Rundfunk- und Fernsehstationen unter Beschuß genommen. Ich konnte den sorgenvollen Mienen der Menschen auf Bagdads Straßen entnehmen, daß sie nervös waren, daß sie Angst hatten, daß die Luftangriffe ihre Stadt völlig zerstören würden. Einige Bomben trafen an diesem ersten Kriegstag auch die Wasser- und Stromversorgung, sogar mehrmals hintereinander. Ein Techniker der Stromgesellschaft erzählte mir, sie hätten zwar versucht, die Schäden provisorisch zu beheben, aber die wiederholten Bombardements würden ihre Arbeit immer wieder zunichte machen. „Das Problem mit der Stromversorgung werden wir nicht lösen können.“ Die Regierung war bemüht, zunächst Krankenhäuser, Bäckereien und Wasserpumpen mit Strom zu versehen. Dafür wurden Dieselgeneratoren eingesetzt. In einigen Teilen der Stadt gab es fließendes Wasser — für etwa zwei bis drei Stunden. Die Menschen waren deprimiert, es gab keine Anzeichen für eine schnelle Beendigung des Bombenterrors. Ihre Moral war heftig angeschlagen.
Als sie dann aber nach den ersten beiden Tagen sahen, daß das irakische Alarmsystem und die Luftabwehr zufriedenstellend funktionierten, verloren sie ihre Angst. Und auch die Feststellung, daß der Feind offenbar doch gezielt militärische und „strategische“ Ziele ansteuerte, hat viele erst einmal beruhigt. Solange sie in einiger Entfernung von diesen Zielen leben, bestehe keine Gefahr, so die einhellige Meinung. Traurig und böse sind sie über die Verluste, nicht nur an Menschenleben. „Wir werden lange brauchen, um die Fabriken und die öffentliche Infrastruktur, die jetzt zerstört wurden, wieder aufzubauen“, so der Direktor der Abu- Gharib-Milchfabrik. „Aber alle Verluste sind bedeutungslos, wenn es darum geht, unsere Ehre, unsere Würde zu verteidigen. Die Fabriken, das ist doch nur Zement und Stahl. Wir jedoch sind bereit, mit unserem Blut für unsere Würde einzutreten.“
Für die Bevölkerung der Hauptstadt ist eindeutig, daß für die westliche Allianz nicht die militärischen Objekte Hauptziel ihrer Bombenangriffe bilden, ebensowenig die Befreiung Kuwaits, sondern daß sie Iraks Infrastruktur zerstören wollen. Wasser- und Stromversorgungsstationen wurden in Schutt und Asche gelegt, Autobahnen, Brücken, Nahrungsmittelfabriken und -lager zerbombt. In „Weiß-Gold“, einem Dorf etwa 25 Kilometer von Bagdad entfernt, sah ich die Reste der örtlichen Milchpulverfabrik. Zweimal hatten die Alliierten sie bombardiert. In Ar-Ramadi, 150 Kilometer vor Bagdad, entdeckte ich die Trümmer einer Marmeladen- und einer Brotfabrik. Von den Bombenschäden weiter außerhalb erfährt man nur wenig: Der jordanischen Zeitung 'Al-Dustour‘ berichtete ein Augenzeuge von der Bombardierung eines in Zelten lebenden Beduinenclans nahe der irakisch-jordanischen Grenze. Es habe etwa hundert Tote und Verletzte gegeben.
„Am Boden hat der Feind keine Chance“
In der Bagdader Innenstadt sind einzelne Wohnhäuser zerstört worden. Erst jetzt erlaubt die irakische Führung Journalisten, diese Orte zu besuchen, nachdem sie in den ersten Tagen nach Kriegsbeginn absolutes Schweigen verordnet hatte. Die Bewohner von Bagdad warten jetzt auf die „Bodenkämpfe“. Sie sind überzeugt, daß sie in wenigen Stunden oder Tagen beginnen werden. Und sie sind überzeugt, daß sie aus dieser Auseinandersetzung als Sieger hervorgehen werden. „Wir haben gesehen, was ihre Luftwaffe ausrichten kann: nichts!“ höhnt ein irakischer Offizier, „unsere Armee ist noch unversehrt, genauso unsere Raketen und unsere Flugzeuge.“ Die irakische Führung glaubt offenbar, daß die USA und ihre Verbündeten nichts so sehr fürchten wie die Bodenkämpfe und aus diesem Grund ihr Land ohne Unterlaß aus der Luft angreifen. Ein Soldat: „Die Amerikaner und die Europäer sind Feiglinge. Sie verstecken sich hinter ihrer Luftüberlegenheit und ihrer Technologie. Am Boden haben sie keine Chance gegen unsere Soldaten, Helden einer wie der andere.“
(Der Autor ist Palästinenser. Aus diesem Grund hat er im Unterschied zu westlichen Journalisten während seines Irak-Aufenthaltes eine gewisse Bewegungsfreiheit)
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