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Intimität auf BahnreisenEntgleisung im ICE

Ganz Deutschland live im Großraumwagen: Die Zugfahrt ist zum Event geworden, und alle tun, was sie im Fernsehen lernen - sie machen ihr Privates öffentlich.

Die Fahrt wird zur Castingshow auf der Schiene, auch wenn das Zeitfenster für den Recall nur bis hinter Wuppertal reicht. Bild: ap

Ein bierfröhliches Trio aus dem Bergischen Land assimiliert kurzerhand den vierten Mitfahrer am Tisch für die nächsten sieben Rommé-Runden, eine Schulklasse aus dem Ruhrgebiet rennt aufgeregt den Gang rauf und runter, und ein paar Bundeswehrsoldaten in der Grundausbildung kommentieren lautstark so ziemlich alles, was es zu kommentieren gibt. Wer viel mit der Bahn unterwegs ist, hat auch viel Zeit, die Menschen zu beobachten, die da in den Zügen kreuz und quer durch die Republik bewegt werden.

Ein analytischer Blick auf die Mitfahrer und -fahrerinnen lohnt, denn die Zustände im Großraumwagen lassen durchaus den einen oder anderen Rückschluss auf eine gesamtgesellschaftliche Verfasstheit zu.

Eine Fahrt im ICE von Berlin nach Köln, mit Halt in Wolfsburg, Hannover, Hamm, Hagen und Wuppertal bietet also nicht nur geo-, sondern auch demografisch einen interessanten Schnitt durchs Land. Das Abteil als modellhaftes Abbild der Gesellschaft gewissermaßen. Ganz Deutschland ab 29 Euro.

Unser Alltag unterscheidet sich durch eine weitreichende, wenn auch oberflächliche Individualisierung und Optionalisierung von dem unserer Eltern und Großeltern. Überall, vom Dressing auf dem Salat über die Größe des Latte macchiato bis hin zur Farbe des Personenkraftwagens können und müssen wir fortwährend über die Kleinigkeiten unseres Lebens entscheiden. Customizing nennt man dieses Anpassen des Produkts an die Wünsche des Kunden in der Werbesprache. In Deutschlands modernstem Verkehrsmittel aber müssen wir Customers zurückstecken, denn die Begrenztheit der individuellen Gestaltung liegt im Bahnverkehr in der Natur der Sache.

Als würde die Bahn im Auftrag des Statistischen Bundesamts agieren, werden hier anhand der Reservierungsbestätigung die unterschiedlichsten Biografien und kulturellen Hintergründe, Generationen und Lebenserfahrungen lustig durcheinandergemischt und zu ein paar Stunden gemeinsamen Seins ohne viel Konfigurations- und Ausweichmöglichkeiten verdonnert.

Das war früher, als Fahrten des Fernverkehrs noch den Hauch des Besonderen hatten, eine einfache Sache. Je nach Alter und Empfindlichkeit saß man in Fahrtrichtung oder nicht, richtete die Konzentration auf die vorbeiziehende Landschaft und harrte der Dinge, die da vorbeikamen. Die Generation Bahn 2.0 hingegen konzentriert sich im Wesentlichen aufeinander, die Fahrt mit dem Zug wird, analog zu Reisen mit Tuifly oder Easyjet, zu einem Event. Der Intercity-Express als totales Erlebnis.

Dem Unternehmen selbst wird diese Entwicklung in den eigenen Waggons nicht unbedingt ungelegen kommen, schafft sie doch eine emotionale Bindung an das zu verkaufende Produkt. Und verkauft wird eben nicht nur die Strecke Berlin-Köln, sondern ganz Deutschland ab 29 Euro, inklusive Familienanschluss ans ganze Volk.

Wo früher Gespräche im Flüsterton geführt wurden, man in der Schlange vor der Toilette betreten die Deutschlandkarte neben der Tür betrachtete und allenfalls bei Abfahrt des Zuges noch einmal waghalsig den Kopf aus dem Fenster streckte, herrscht heute eine eher bizarre Vergewisserung der kollektiven Existenz.

Nirgendwo ist im öffentlichen Raum das Unbehagen im anonymen Nebeneinander so greifbar wie zwischen den Hartschalensitzen eines Schnellzuges. Da wird es vor lauter Beklommenheit auf einmal ganz kuschelig zwischen wildfremden Passagieren, die sich fünf Minuten zuvor auf dem Bahnsteig vermutlich noch keines Blickes gewürdigt haben.

Ob es die fröhliche Kartenspielrunde, die Schulklasse oder die Gruppe Bundeswehrsoldaten sind: Eigentlich machen alle genau das, was sie jeden Tag im Fernsehen vorgegeben bekommen - sie machen ihr Privates öffentlich.

Die in endlosen Reality-Formaten bis zum Erbrechen zelebrierte Auflösung von Öffentlichem und Privatem hat im ICE nämlich schon längst ihren Niederschlag gefunden. Die Fahrt mit der Bahn wird zu einer Castingshow auf der Schiene, und dem zahlenden Fahrgast ist durchaus bewusst, dass das Zeitfenster für den Recall nur bis hinter Wuppertal reicht.

Da mutiert ein Kartenspiel zur Supertalentshow, und die Mädels bestreiten den Gang zum Klo, als wären sie von Heidi Klum vor diese Herausforderung gestellt worden. Für diejenigen, die, wie die soldatischen Kameraden, ohne besondere Talente oder körperliche Reize in der Show gelandet sind, ist immer noch ein Platz in der Jury frei.

So kommentiert denn auch ein ganzes Bataillon kleiner Dieter Bohlens mit einer Tüte Chips in der einen und einer Dose Bier in der anderen Hand mehr oder weniger unflätig all die aufgeregten aufgebrezelten Annemarie Eilfelds, die sich im Viertelstundentakt in kleinen Grüppchen in ihren Hiphop-Nicki-Anzügen zum Klo kichern.

Während man früher die Mitfahrer allenfalls geruchstechnisch mit Leberwurstbroten oder hartgekochten Eiern drangsalierte, hat sich in den Zügen von heute vor allem die Geräuschbelastung um ein Vielfaches erhöht. Es herrscht ein kontinuierlicher zwanghafter Mitteilungsdrang, der sich nicht nur in den andauernden Positionsmitteilungen per Mobiltelefon manifestiert.

Bis zum Zielbahnhof informiert der Zugchef gefühlte zwanzigmal auf Deutsch und auf Deutsch klingendem Englisch über möglicherweise noch zu erreichende Anschlusszüge, die Highlights des gastronomischen Services im Bordbistro und den Namen der Kollegin, die in der ersten Klasse kleine Snacks und Getränke gerne auch am Platz serviert. Geselligkeit und gute Laune, wohin man den Blick auch wendet!

Als Tyrannei der Intimität beschrieb schon 1974 der amerikanische Soziologe Richard Sennett die Aushöhlung des delikaten Gleichgewichts zwischen öffentlicher Sphäre und Privatsphäre. Die Intimität läuft auf die Lokalisierung der menschlichen Erfahrung in der nächsten Umgebung heraus, so Sennett. Die unmittelbaren Lebensumstände gewinnen eine überragende Bedeutung, und die Menschen setzen einander unter Druck, um jegliche Barrieren einer vermeintlichen Geselligkeit aus dem Weg zu räumen.

Die Ehrfurcht vor der Reise als solcher ist mit zunehmender Mobilität dem allgegenwärtigen Anspruch auf dauerhaftes Entertainment gewichen. Schon der Fahrkartenkauf bei Tchibo, Lidl oder Ebay wird zum Ereignis stilisiert. Für 29 Euro will man schließlich auch was erleben. Beim Event ICE ist der Weg längst nicht mehr Teil des Ziels, er will mit Ablenkung und Unterhaltung gefüllt werden.

Während im Wahlkampf die Themen Datenschutz und Privatsphäre gerade hochgekocht werden, wird sich im kleinen Mini-Deutschland zum Supersparpreis verbrüdert und verbündet, was das Zeug hält.

Wer sich diesem Druck nicht aussetzen will und trotzdem auf das Auto verzichten möchte, braucht viel Geduld - und gute Kopfhörer!

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34 Kommentare

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  • BE
    Bastian - Ein Gleisritter

    Ja, so ist das mit dem Bahnfahren.Und das mit dem Schaulaufen ist sogar noch regional unterschiedlich geprägt. So hat die Strecke über Frankfurt häufig was vom Jahrestreffen der Architekturkammmer Nordrhein meets Selbsthilfegruppe Flanellhemdträger

     

    Das war ja auch damal für einen Freund und mich der Grund, das Bahnfahrerblog www.gleisritter.de ins Leben zu rufen. Es gibt einfach immer was zu gucken. Längst schon heißt es nicht mehr "Bahn fahren is wie wenn'se fliechst!" sondern "Bahn fahren is wie enne Besuch im Zoo"

  • B
    Brockenschreck

    Ja der Artikel ist den lieben TAZ Lesern zu elitär. Leider trifft der Autor den Punkt. Und nein das war nicht schon immer so. Das ist natürlich kein Problem, das auf das Bahnfahren beschränkt ist. Hier fällt es aber besonders auf. Viele denken eben nur an sich und machen sich keine Gedanken um andere. Sich beschränken kommt nicht in Frage.

     

    Brockenschreck

    An Larry Fortenski: Hut ab- der Nickname ist groß, habe sehr gelacht

  • B
    Ben

    Fette Nebelwesen drücken ihre vollgesogenen, nassen Leiber über das Land. Das vertraute Rattern der Gleise lässt mich gähnen. Es ist früh und lakonisch steigen die Roboter in das Uhrwerk ein und wieder aus. So wie ich. Montag. Ich lege den Bleistift bei Seite und entfliehe für ein paar Minuten, Wachschlaf. Es reicht nicht, die Müdigkeit bleibt. Sicherlich ist nicht alles schlecht an so einem Montag Morgen und nicht jeder ist unweigerlich ein Arschloch. Aber sie werden mehr. Ich stopfe mir Oropax in meine Gehörgänge. Irgendwie muss ich mich gegen den MTV-Schrott schützen, der aufgewärmt von drei 12 jährigen Fäkal-Linguisten akustisch Weg durch das Abteil findet. Wenn ich mich nicht so schön unter Kontrolle hätte müsste ich, bei dem Anblick der sich mir täglich bietet, permanent kotzen. So schnell ich mich auch entleeren könnte, ich wäre eine Fahrt später wieder"rand voll". Aber ich habe mich im Griff, wie schön. Sehnsüchtig wandert mein Blick über einen üppig bewaldeten Berg. Aussteigen in Fahrtrichtung rechts. Doch der Ruf der Wildnis verhallt bewegungsunscharf hinter der nächsten Schallschutzmauer.

  • GL
    Georg Lindenthaler

    Ach so ist das jetzt. Wie schön!

    Bei meiner nächsten ICE-Reise suche ich mir einen Platz am Gang und strecke ab und zu mal meine Grapscher aus. Das dürfte ja jetzt kein Problem mehr sein.

    Mal sehen, ob die Mitglieder unserer sonst immer so diskreten westdeutschen Single-Gesellschaft die neue Intimität bis zum schönen Ende durchziehen, oder ob sie vor der letzten Konsequenz wieder herumeiern und einem mit "Ja, eigentlich schon - Aber doch nicht so!" auf die Finger klopfen.

    Wenn ich dann in Handschellen aus dem Zug geholt werde, kündige ich mein taz-Abo.

  • M
    miss_foucault

    Danke für die Kommentarfunktion, liebes Internet! Das Lustigste an diesem Artikel sind nämlich die Kommentare dazu. Was das Reisen mit der DB betrifft, so ist mir noch NIE ein sogenanntes 29.- Euro Event Ticket angeboten worden. Dieter Bohlen ist der einzige, der ein solches bekommen hat und dazu noch jede Menge Kohle, um es in eine Kamera zu halten. Eigentlich sollte die DB angezeigt werden, da es verboten ist, mit Angeboten zu werben, die nicht vorhanden sind. Dasselbe gilt nämlich auch für Aldi und Fluggesellschaften. Davon abgesehen würde ich die Strapazen einer ICE Fahrt zu diesem Preis gern auf mich nehmen.. Ein bisschen sauer bin ich mit den Handyherstellern wegen der Surround-Sound Funktion, mit der nun alle Modelle ausgestattet sind. Dass damit kein Fahrstuhl-Bossanova gedudelt wird versteht sich ja von selbst. Ich freue mich schon auf die angekündigten TV und Videoprojektor-Funktionen. Wenn der Autor übrigens wirklich mal menschliche Nähe in vollen Zügen geniessen möchte, dann sei ihm eine Zugfahrt z.B. in Asien (hard seat) empfohlen, dort wird er immer eine Schulter zum Anlehnen finden (ob er nun will oder nicht).

  • B
    Bahnfahrer

    Fahre seit Jahren Bahn und habe mich noch kein einziges mal genötigt gesehen, mich mit jemanden zu verbrüdern.

    Sicher, viele Menschen auf kleinem Raum gehen wohl nicht wenigen Leuten auf den Geist - meiner subjektiven Erfahrung gemäß kommen die ungezogensten, lautesten, impertinentesten und unangenehmsten Bahnkunden übrigens aus der Gegend um Hannover - aber ist das nicht auch an anderen Orten so, wo Mensch auf Mensch trifft...

    Der Autor sperrt sich besser zuhause ein und spült den Schlüssel durchs Klo, oder er möge Thoreaus "Walden" lesen und danach handeln.

  • K
    kricket

    danke, Thomas, das wollt ich auch sagen...

  • D
    Dietmar

    Der taz ist zu ihren mündigen Lesern nur zu beglückwünschen. Die meisten Kommentare spiegeln ziemlich genau meinen Leseeindruck heute morgen wider. Der Artikel ist wirklich nicht gut, sondern strotzt nur so vor Dünkel. Außerdem widerspricht er meinen Erfahrungen beim Bahnfahren. Früher gabs mindestens genau so viele laute Mitreisende als heute, und immer mehr Handynutzer sind ernsthaft bemüht, Mireisende nicht durch lautes Sprechen in Mitleidenschaft zu ziehen.

  • D
    derNoergler

    Ich bin selbst regelmäßiger Bahnfahrer und kenne daher einige der angesprochenen Anekdoten aus eigener Erfahrung, die aufgebauschte Dramatik mag mir aber nicht einleuchten. Ein interessantes Buch oder mittelmäßige Kopfhörer, manchmal reicht gar die taz, um das Rundherum vernachlässigen können; lediglich den Gestank verarbeiteten Aases muss man dann noch ertragen - doch dagegen helfen auch keine Kopfhörer.

     

    Meine Damen und Herren, der Witz musste aufgrund von Gleisarbeiten leider entfallen, wir danken ihnen für ihr Verständnis.

    Laydies und Jäntelmänn, noh wits tuday, zänk ju for rieding se tageszeitung.

  • L
    LarryFortensky

    Naja, ein bißchen hochgestochen, wie der Autor hier daher kommt. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist es halt immer so eng, dass man einander zwangsläufig näher kommt als üblich. Das war bereits zu Zeiten der Generation Bahn 1.0 so, das ist im Überlandbus so, und zu Zeiten der guten alten Postkutsche - sowohl im Wilden Westen als auch bei Goethe auf dem Weg nach Italien - war es auch nicht anders.

     

    LarryFortensky

  • L
    LarryFortensky

    Naja, ein bißchen hochgestochen, wie der Autor hier daher kommt. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist es halt immer so eng, dass man einander zwangsläufig näher kommt als üblich. Das war bereits zu Zeiten der Generation Bahn 1.0 so, das ist im Überlandbus so, und zu Zeiten der guten alten Postkutsche - sowohl im Wilden Westen als auch bei Goethe auf dem Weg nach Italien - war es auch nicht anders.

     

    LarryFortensky

  • M
    montrose

    Der postmoderne sozialdemokratische Mensch geht eben immer den Weg des geringsten Widerstands, auch und gerade im öffentlichen Raum. Früher war es verpönt, aus der Flasche zu trinken. Heute säuft man in der Strassenbahn Bier, hört laute Musik, macht sich breit, verzehrt sein 3-Gänge-Menü, läßt den Müll einfach liegen. Man merkt auch, dass die Menschen in Deutschland im öffentlichen Raum immer anspruchsloser werden. Man rechnet gar nich mehr damit, dass der Zug sauber ist, die Fenster unzerkratzt, die WC-Anlagen keine Müllhalden sind. Ausgerechnet der postmoderne, nur von Frauen erzogene Mensch ist zum Sozialen nicht fähig. Die im Artikel beschriebene Verweiblichung der Gesellschaft führt nur zu mehr Narzissmus, eben nicht zur Rücksichtnahme und Respekt.

  • HM
    Hans-Joachim Mittler

    RE: Entgleisung in der TAZ

     

    Hier hat wohl ein latenter Autist versucht, elaboriert sein Unbehagen auszudrücken, in einer Gesellschaft leben zu müssen, die aus lebendigen, kommunizierenden und agierenden Individuen besteht.

     

    Sicherlich ist es für den akademischen Teilzeit-Humanisten, der gerne seine geistige Überlegenheit im bequemen Fauteuil bei der Lektüre eines "wichtigen" Buches zelebriert, unbequem, vielleicht auch unzumutbar, die gleiche Luft zu atmen, die ein anderer bereits in seinen Lungen hatte! Wie ekelig, dass Menschen miteinander existieren müssen; eine private Insel im Stillen Ozean wäre das sicherlich gerade noch angemessen für diesen Überflieger der Erkenntnis des Privaten!

     

    Ob der Autor sich oft in Zügen der Bahn aufhält, bleibt dem Leser ungewiss. Es schleicht sich allerdings die Vermutung ein, dass er gerade mal seinen jährlichen Ausflug von Berlin nach Köln unternommen hat, um das Grab von Nikolaus August Otto, der ja bekanntlich auf dem Melatenfriedhof zu Köln begraben ist, zu besuchen und dem großen Erfinder des 4-Takt-Motors seine Referenz zu erweisen. Schließlich war es ja diese Erfindung, die es nota bene im Laufe einiger Jahre schon möglich machte, allein in abgeschlossenen Blechkisten mit Umluftsystem ind Mikro-Pollenfilter sein Ziel zu erreichen.

     

    Die Mysogynie des Autors gegenüber den Heidi Klums dieser Welt macht ihn auch nicht zu einem, für eine GESELLschaft akzeptablen Zeitgenossen. Vermisst er gar auf seiner Fahrt die männlichen Gegenstücke mit Kaffekännchenhandgelenk und schrillem Lachen, so wird er gerade in Köln auf seine ungeouteten Kosten kommen.

    Die Verweigerung, den Menschen als privat, wie gesellschaftlich kommunizierendes Wesen zu begreifen zeigt nur allzu deutlich, dass er in die Falle des frühkapitalistischen Konzeptes, wenn nicht dessen Zieles, der Individualisierung des Individuums gegangen ist, und sich freiwillig, Privatheit fordernd, außerhalb der Notwendigkeit von solidarischem Handeln und Zusammenseins zu stellen. Da bietet sich doch ein One-Way Ticket mit der Transsib an, die er tunlichst, unter Betätigung der Notbremse in der sibirischen Taiga und am besten wortlos verlässt. Dort kann er seine, dann nicht oberflächliche, sondern tiefgreifende Individualisierung feiern.

     

    Da wird Erfurcht vor der Reise gefordert, und man ist nicht bereit, Demut vor allem Leben zu beweisen. Da wird die Tyrannei der Intimität beklagt. Nun, vor solcher Intimität, die auf ihrem Tiefpunkt in der Benutzung guter Kopfhörer gründet, kann es einem ja nur Angst und Bange werden. Insofern ist gerade in diesem Punkt der Autor glaubwürdig, vor dessen Intimität, sich der Durchschnittsbürger nur mit Grauen abwenden kann.

     

    Manche nennen kritisches Begleiten der Gesellschaft mit "journalistischen Mitteln", Wissens-, Sozial-, oder Sonstwie-Management, und sie sind sich nicht klar, dass sich das dahinter verbergende lateinische "manum agere = mit der Hand machen" von dieser durchaus verkommenden Gesellschaft mit dem Wort WICHSER übersetzt würde. Tja, wenn diese Idioten nur Latein könnten ....!

     

    Es grüßt ein homo commutatensis

  • T
    Thomas

    Uh, Bahn-Bashing. Wie erfrischend, kreativ, witzig und nonkonformistisch. Geradezu subversiv. Nur wo bleibt der Hinweis auf die mangelnde Pünktlichkeit?

  • I
    Ivo

    Also ich bin ja auch dafür, dass die Menschen die anonyme Distanz überwinden und dass wir netter und freundlicher miteinander umgehen und so. Aber das, was in der Bahn passiert und was die Gesellschaft reflektiert (da stimme ich zu), hat nicht mit einem freundlichen Miteinander zu tun. Ich habe eher den Eindruck, die Menschen werden immer egozentrischer und respektloser gegenüber anderen. Mir ist es schon mehrfach passiert, dass ich die Fahrzeit nutzen wollte indem ich ein Buch ausarbeite oder ähnliches und irgendein Egozentriker stundenlang telefoniert, ein Gespräch nach dem anderen und immer 'ne viertel bis halbe Stunde. Wir müssen wieder lernen unsere Interessen gegenseitig zu respektieren.

  • F
    Fred

    Vielleicht sollte sich der Autor einfach mal darüber freuen, dass die Menschen in Deutschland miteinander kommunizieren.. Obwohl, könnte er am Ende neidisch sein?

  • S
    Studentin

    ... aber die Musik bitte nicht so laut, dass der ganze Zug mithören kann!

  • HM
    Hermann Mahr

    Als ich, Jahrgang 1927 noch Kind war, erlebte ich in der Eisenbahn, daß -- kaum hatte sich der Zug in Bewegung gesetzt -- in großer Zahl Leberwurstbrote ausgepackt und verzehrt wurden. Heute gibt es im Zug keineLeberwurstbrote mehr, statt dessen ziehen viele ihr Händi heraus und stören durch ihre Gespräche die Mitreisenden, die zum Beispiel gerne etwas lesen möchten.

  • RF
    Renate Fischer

    Es ist schon übel, dass Bahnfahren jetzt auch im ICE zum Unterschichtvergnügen wird.

    Ich empfehle dem Autor 1. Klasse zu buchen, soviel sollte ihm seine empfindliche Seele doch wert sein.

  • A
    Anne

    Selten so eine schlechte Glosse gelesen. Sorry.

    Auch bin regeläßig auf besagter Strecke unterwegs.

     

    Entweder in bin ein Misanthrop und Menschenfeind und igel mich halt mit meinen Kopfhörern ein, dann is das gut und mir können alle mal egal sein. Manchmal gehen mir auch alle Mitfahrer auf den Geist, aber dann schalte ich eben ab, keiner zwingt mich, daran teilzuhaben.

    Oder ich erfreue mich an all den Kuriositäten in diesem Menschenzoo, schwätze eben mal mit widfremden Sitznachbarn, verschenke hier und da ein Lächeln und mache keine große Sache aus demm Alltags-Bahnfahren.

    Warum der Autor das als öffentlich-machen von Privatem als Zeitgeist geisselt und belächelt, ist mir ein Rätsel. Sollte man sich nich vielmehr freuen, wenn "in unsere kalten, anonymen Zeit" *räusper* Leute wenigstens für kurze Zeit nett und freundlich mit einander umgehen?

    Ich bleibe dabei, selten so eine verquere und humorlose Glosse gelesen.

  • P
    Philipp

    Thank you for travelling with Deutsche Bahn....gute Kopfhörer sind wirklich wichtig.

  • T
    tystie

    Während man früher beim Bahnfahren peinlich darauf achtete, zu ignorieren, dass man inmitten anderer Menschen saß, mit denen man eine Schicksalsgemeinschaft bildet, sind heute die Leute aufgelockerter und nehmen ihre Mitmenschen wahr, leider immer noch verklemmt-deutsch, denn die Bibliotheksatmosphäre schwebt als Ideal nach wie vor in der gefiltereten Luft. Schon die verkorkste deutsche Sprache mit der 'Sie'-Anrede, die allerdings auch nicht vor den Konzentrationslagern schützte, verhindert das umgängliche englische 'you' der Gleichwertigen, die die Rede aneinander richten dürfen.

  • SP
    Stefan Parchim

    Vielen Dank dafür! Ich dachte schon, ich wär damit allein auf dieser Welt! (sorry, bin kein Smiley-Typ)

  • PW
    Peter Wiesel

    Dieser Artikel ist ja mal echt langweilig!

    Wie kann man so viel schreiben ohne mal auf den Punkt zu kommen?....man sagt einfach immer das gleiche nur mit andern Worten oder stellt den Satz um!

    Ausser das ein Paar Bundis über zum Klo gehende Mädels ablästern, ist ja nicht viel konkretes gesagt worden. Und das gab es wirklich schon immer! Auch als der Schreiber das Zug fahren noch besser fand.

     

    Wo der Nostalgiker das Bahn fahren "früher" noch viel besser fand, muss ich sagen fand ich die TAZ früher auch besser!

  • KB
    Karl Bold

    Ach, so eine Kritik von Bahnvielfahrern gab es bereits vor rund einem Jahr in der FAZ. Journalisten verkraften wohl die Demokratisierung des Reisens nicht. Wer Geld hat, nimmt doch aus Prinzip die Lufthansa. Nicht mitbekommen?

  • V
    vic

    Eine Zugfahrt, die ist lustig...und nicht nur die.

    Sie sagen es. Das deutsche Volk, so bald es in Massen aufritt, ist unerträglich.

    Mir graust vor diesem Volk. Mit ein Grund, weshalb ich in Deutschland KEINE Volksabstimmungen möchte. Nicht auszudenken, was denen einfällt.

  • H
    Hans

    Sich über die englischen Ansagen zu mokieren ist geradezu brillant. Dass das endlich mal jemand formulieren und aussprechen konnte. Einfach wow.

  • T
    Thrash

    Das FAZ-Feuilleton wollte den Artikel dann doch nicht annehmen? War ihnen wahrscheinlich zu spiessig.

  • M
    mixas

    Geben sie mir meine 5 Minuten wieder die ich mit diesem Artikel verschwendet habe!

  • R
    REMaster

    Nach dem Lesen dieses Artikels habe ich mich gefragt: Was war wohl die Botschaft, die der Autor uns damit näher bringen wollte? Zum einen kann ich einen großen Teil der Beobachtungen nicht nachvollziehen, zum anderen empfinde ich den Artikel insgesamt belanglos und inhaltsleer. Langweilig! Aber vielleicht ist das ja auch Geschmacksache....

  • PH
    Peter Hartung

    Das ist ja noch garnichts. Da müssen Sie sich heute mal in den Doppelstockwagen eines Regionalzuges setzen, der die Pendler zur und von der Arbeit bringt. Da geht es noch doller zu. Wenn mir das laute Handygequatsche meines Gegenübers auf den Sxxx geht, greife ich zur Gegenwehr und biete der Handy-Tante an, ihr mal laut aus meiner Zeitung vorzulesen, wenn sie nicht sofort das Ding ausmacht. Feine Stimmung kommt da auf. Ich fahr nun schon seit mehr als vierzig Jahren mit der Bahn zur Arbeit und wieder nach Hause. Was sich dort heutzutage abspielt, ist nicht mehr auszuhalten. Danke für Ihren Beitrag.

  • M
    Markus

    Da flüstert mir jemand aus der Seele. Wobei die Repräsentativität des Mikrokosmos "Bahn" auch nur begrenzt ist - schließlich ist der Anteil der Bahn im Modal Split der Verkehrsnutzung unbedeutend niedrig - und die 29 Goldstücke vermag heute auch nicht jeder aufzubringen.

  • JF
    Jonas F.

    Sorry, aber der Artikel ist wirklich plump. Wie kann man in eine Bahnfahrt so viel reindeuten. Die beschriebenen Prozesse finden überall statt und treten deshalb auch in Zügen auf. Die Deutschen fahren halt Zug. Ich habe dabei bisher nicht mehr über andere Menschen erfahren als an irgendwelchen anderen Flecken auch.

    Der Autor sollte mal eine Kneipe besuchen, dann wird er mehr Intimes über die Menschen erfahren, oder in einem Regionalzug im Pott...

  • B
    Bahnfahrer

    Bahnfahren war schon immer so! Wer wie der Autor überheblich auf Teenies, Kegelbrüder und Bundeswehrsoldaten blickt, die sich verhalten, wie sie sich schon immer verhalten haben, sollte sich zwei Fragen stellen: 1. Werde ich alt? 2. Kann ich mir ein Ticket in der 1. Klasse leisten?