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Interreligiöse ZusammenarbeitGott im Böhmischen Dorf

In Neukölln sind Christen und Muslime miteinander im Gespräch. Die Kommunikation funktioniert zwar gut, von einer echten Annäherung kann dennoch keine Rede sein.

Bärte sind die einzige sichtbare Ähnlichkeit zwischen den beiden Gemeinden. Grau mit weißen Strähnen bei den Christen. Grau mit schwarz bei den Muslimen. Bei beiden zumeist akkurat gestutzt - keine weihnachtsmannhaft wallende Fülle. Eher puritanische Nüchternheit.

Ansonsten gibt es auf den ersten Blick nicht viel Verbindendes zwischen den evangelischen Christen, die sich im Gotteshaus der Herrnhuter Brüdergemeine (sic!) ein paar Meter nördlich des Neuköllner Richardplatzes treffen, und den Mitgliedern des islamischen Moscheevereins Gazi Osman Pascha, der ebenso viele Meter südlich seinen Standort hat. Vor dem Gemeindehaus der Herrnhuter, in dem gleich der sonntägliche Gottesdienst beginnt, stehen zwei Damen und rauchen noch schnell eine Zigarette. Unter den Autos, die vor dem im idyllischen Kern des Böhmischen Dorfs gelegenen Haus der Gemeinde parken, haben einige mit auswärtigen Kennzeichen. Die Herrnhuter ChristInnen, überwiegend Nachkommen der im 18. Jahrhundert ins alte Rixdorf eingewanderten Böhmen, haben sich längst über Berlins Stadtgrenzen hinaus verstreut. Knapp 500 Mitglieder hat die Gemeinde, etwa ein Zehntel lebt noch in Neukölln.

Auf ungefähr ebenso viele Mitglieder kommt auch die Osman-Pascha-Moschee. Der Trägerverein hat 200 Mitglieder, aber es nutzen viel mehr Menschen die Gebetsräume - zum Freitagsgebet kommen schon mal alle 500 in die Hinterhofmoschee. Die meisten wohnen in der Nachbarschaft. Sie sind Muslime aus der Türkei, vor zwanzig oder dreißig Jahren eingewandert oder hier geboren.

Wie zum Beispiel Ünsal Yasaryildiz. Der 23-Jährige hat sein Abi an einem Friedrichshainer Gymnasium gemacht, jetzt studiert er Wirtschaftsrecht. Außerdem organisiert er zusammen mit Mehmet Türker den interreligiösen Dialog der Moscheegemeinde mit den christlichen Nachbarn. "Es ist im Islam einfach wichtig, sich mit seinen Nachbarn gut zu verständigen", sagt Yasaryildiz. Außerdem solle der Dialog dabei helfen, Vorurteile über Muslime abzubauen. "99,9 Prozent der Berichte über Muslime enthalten ja falsche Informationen", so Yasaryildiz - und Unwissen erzeuge Vorurteile. An denen seien die Muslime aber auch ein wenig selbst schuld: "Wo kein Feuer ist, ist auch kein Rauch", sagt der junge Mann. Er trägt Dreitagebart.

Seit fast zehn Jahren gibt es den interreligiösen Dialog im Nordneuköllner Rixdorf. Veranstaltet wird er von der Gazi-Osman-Pascha-Moschee und den evangelischen und katholischen Gemeinden des Kiezes, die sich im Ökumenischen Arbeitskreis Rixdorf zusammengeschlossen haben. Die Gesprächsthemen werden wechselseitig vorgeschlagen: Kindererziehung, soziale Verantwortung oder das Zusammenleben mit Andersgläubigen gehören ebenso dazu wie die Gottesbilder oder die Moralvorstellungen in den jeweiligen Religionen. Zu den zwei- bis viermal im Jahr stattfindenden Gesprächskreisen kommen 20 bis 50 TeilnehmerInnen. Vor allem die jüngeren und gebildeteren Mitglieder der Gemeinden zeigen Interesse am Dialog.

Die Pfarrer Gert Wettig, Bernd Krebs und Theodor Clemens gehören zu den evangelischen Gemeinden, die an dem religiösen Dialog teilnehmen. Alle drei tragen kurz geschnittene Bärte in unterschiedlichen Stufen von Grau. 15 Jahre seien sie schon im Kiez und noch nie von Christen zum Dialog gebeten worden, hätten die Vertreter der Gazi-Osman-Pascha-Moschee gesagt, als er 1998 die ersten Kontakte geknüpft habe, erzählt Pfarrer Wettig. Heute ist er Ruheständler, früher leitete er eine Kreuzberger Gemeinde. Mit dem christlich-islamischen Dialog hat er dort schon 1972 begonnen.

"In Glaubensfragen können wir uns eigentlich nur gegenseitig unsere Offenbarung erklären", sagt Krebs, Pfarrer der Evangelisch-reformierten Bethlehemsgemeinde nahe dem Richardplatz. Gemeinsamkeiten zeigten sich vor allem bei sozialen Themen: "Wie nehmen Vertreter der verschiedenen Religionen ihre soziale Verantwortung wahr?" Gemeinsame Sozialarbeit mit den Muslimen - so kann Krebs sich die nächste Stufe der Zusammenarbeit vorstellen.

"Alteingesessene und Zuwanderer leben hier eher neben- als miteinander" - das sei ihm aufgefallen, sagt Pfarrer Theodor Clemens, als er vor zwölf Jahren aus Surinam nach Berlin kam, um hier die Herrnhuter Brüdergemeine zu leiten. Die Herrnhuter, die als Religionsflüchtlinge selbst eine Migrationsgeschichte haben und über die ganze Welt verstreut sind, fühlten sich schon deshalb dem Dialog mit Migranten verpflichtet. "Sie sind Nachbarn, die man auf der Straße trifft", sagt Clemens.

Kurz nachdem der Gottesdienst der Herrnhuter zu Ende ist, treffen sich die muslimischen Nachbarn ein paar Straßen weiter zum Mittagsgebet. Heute, am Sonntag, sind vor allem alte Männer zum Gebet gekommen. Den Kiosk am Eingang der Moschee bevölkern aber Kinder: Sie kommen am schulfreien Sonntag zum Koranunterricht. Frauen, gar rauchende, sieht man nicht. "Sie beten in einem eigenen Raum eine Etage über dem der Männer", sagt Ünsal Yasaryildiz. Die Männermoschee im ersten Obergeschoss eines Hinterhauses ist mit blauen Fliesen in der typisch islamischen Ornamentik geschmückt. Die Männer tragen schwarz-graue Bärte, nur ein wenig länger als die der Pfarrer.

Ünsal Yasaryildiz und Mehmet Türker gehören zur jungen Generation der Gemeinde. Theologen sind sie nicht, ihre Kenntnisse des Islams haben sie im Religionsunterricht der Islamischen Föderation erworben, zu der die Gazi-Osman-Pascha-Moschee gehört. Für Türker ist klar: "Der Islam ist die richtige Religion." Aber das müsse jeder für sich selbst entscheiden: "Wir dürfen niemanden zwingen." Der Islam sei klarer, so Türker: Bei einem Gespräch über das Wesen Gottes hätten selbst die christlichen Theologen Probleme gehabt, die Dreieinigkeit zu erklären. "Wie soll das dann ein einfacher Gläubiger verstehen?" Türker trägt seinen Bart modisch zu einer dünnen Linie rasiert.

"Der Dialog mit den anderen verschafft uns auch Klarheit über unseren eigenen Glauben", sagt Pfarrer Krebs. Die Christen in Neukölln rückten enger zusammen: Manche hätten Ängste, "sich künftig hier in der Rolle der Minderheit zu befinden", sagt Pfarrer Clemens. Der Dialog mit den Muslimen diene auch dazu, solchen Ängsten etwas entgegenzusetzen, sagt Krebs: "Wir dürfen keine Wagenburg bilden, uns als Christen hier nicht verbarrikadieren." Schwarz-Weiß-Denken führe leicht zu religiösem Fundamentalismus, auch christlichem, befürchtet Krebs.

Dass Dialog dagegen helfen kann, hat sich in Rixdorf bereits gezeigt. Als Vertreter der mittlerweile verbotenen islamistischen Organisation Hizb-ut-Tahrir die interreligiösen Gespräche stören wollten, haben Mitglieder der Osman-Pascha-Gemeinde sie aus der Moschee gewiesen - und die Polizei informiert. "Die kommen jetzt nicht mehr", sagt Ünsal Yasaryildiz zufrieden.

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