Internet-Zensur in China: Harmonie als Synonym für Zensur
Die Regierung hält trotz massiver Kritik an Pornografie-Filtersoftware fest. Google funktioniert plötzlich nur noch eingeschränkt, parallel zu Vorwürfen, Pornografie zu ermöglichen.
PEKING taz | Sie trägt eine grüne Uniformjacke, Hotpants zu schwarzen Stiefeln und schaut mit Barbie-Kulleraugen in die Welt. Die rote Armbinde verspricht "Harmonie": Die "Grüne-Damm-Lady" ist nur eine der vielen Karikaturen, mit denen sich Chinesen über die Versuche ihrer Regierung lustig machen, das Internet zu kontrollieren.
Die von Pekings Politikern ohne Unterlass beschworene Harmonie ist in Chinas Internetgemeinde längst Synonym für Zensur. Trotz aller Proteste aus dem In- und Ausland halten die Behörden an ihrem jüngsten Vorhaben fest: Ab 1. Juli muss jeder in China verkaufte Computer eine Filtersoftware haben namens Grüner-Damm-Jugendbegleiter, die den Blick auf pornografische und andere "schädliche" Websites verhindern soll.
Zu den prominentesten Kritikern dieses Dekrets zählt der Künstler Ai Weiwei. Er rief Surfer und Blogger dazu auf, am 1. Juli das Internet komplett zu boykottieren: virtuelle Totenstille als Protest gegen die Zensoren. Schärfere Töne schlugen Aktivisten an, die sich Anonyme Netzbürger nennen.
In einem "Offenen Brief an die Internetzensoren Chinas" kündigten sie für den 1. Juli den Beginn eines "weltweiten Angriffs" auf die Blockaden an. "Wir werden Ihre Zensurmaschinerie systematisch sabotieren und zeigen, wie schwach die Klauen der Zensur wirklich sind", warnten sie. Zugleich versicherten sie, keine anderen politischen Ziele zu haben: "Niemand will Ihr Regime stürzen."
Solche Aufrufe erreichen aber nur eine winzige Minderheit der rund 300 Millionen Chinesen, die heute Zugang zum Internet haben, sich in der Regel aber nicht für Politik interessieren. In den letzten Tagen, so berichten Internetexperten, sei die Nachfrage nach sogenannten Proxyservern gestiegen. Mit ihnen können Informationsbarrieren umgangen werden.
Der Grüne Damm sorgt auch in den Zeitungen für viele kritische Kommentare. Experten berichten von Programmierfehlern in der offenbar eilig zusammengeschusterten Software. Der Drang zur Kontrolle sei weit übertrieben, beklagen Fachleute. Das Programm blockiere sogar wissenschaftliche Informationen, etwa über Aids oder Geschlechtskrankheiten. Die Chefredakteurin der angesehenen Finanzzeitschrift Caijing, Hu Shuli, bemängelt mangelnde Transparenz und eine fehlende "moralische und rechtliche Grundlage" des Filters. Wer sich und seine Kinder vor Pornografie schützen wolle, der könne dies freiwillig tun, schrieb sie in einem Kommentar und forderte, das Projekt zu beenden. Kurz angebunden reagierte der Chef eines der einflussreichsten Internetportale Chinas, als er in dieser Woche befragt wurde: "Interessiert mich nicht", sagte Sina.com-Konzernchef Charles Chao. "Ich glaube auch nicht, dass der Filter sehr wirksam sein wird."
Ohnehin muss seine Firma - wie alle Internetunternehmen in China - viel Personal dafür abstellen, das die hauseigenen Websites nach den Vorgaben der KP-Propagandazentrale nach unliebsamen Inhalten durchforscht. Dazu gehört keineswegs nur Pornografie, sondern auch politisch heikle Themen.
Sina.coms US-Konkurrenten Google nehmen die Behörden derzeit verstärkt ins Visier: Das Zentralfernsehen und Zeitungen werfen dem Unternehmen vor, auf seinen chinesischen und englischsprachigen Portalen Pornografie durchrutschen zu lassen - und damit "der physischen und psychischen Gesundheit unserer Jugend schweren Schaden zuzufügen". In mehreren Regionen Chinas waren jetzt die Google-Suchmaschine und der E-Mail-Dienst Gmail.com zeitweilig nicht zugänglich. Technisches Versagen, Angriff von Hackern, eine Warnung an Google? Niemand kann dies bislang beantworten.
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