Integrierte Familie: Ausweisung auf den letzten Drücker
Eine Familie soll ins Kosovo abgeschoben werden, obwohl die Kinder hier geboren sind. Aus Sicht ihres Anwalts verträgt sich das nicht mit dem Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik.
HAMBURG taz | Einer Familie aus dem Kosovo droht die Abschiebung auf den letzten Drücker, dabei sind ihre Kinder in Deutschland aufgewachsen. Obwohl die neue niedersächsische Landesregierung einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik angekündigt hat und eine Änderung der Rechtslage in Aussicht steht, soll der größte Teil der siebenköpfigen Familie am 10. April ausreisen. Ihr Bremer Anwalt Jan Sürig hat dagegen eine einstweilige Anordnung beantragt.
In ihrer Koalitionsvereinbarung haben sich Sozialdemokraten und Grüne in Niedersachsen darauf verständigt, das Recht zum Aufenthalt aus humanitären Gründen „großzügig im Sinne der Betroffenen“ anzuwenden. Kurz vor seiner Amtsübernahme sagte Innenminister Boris Pistorius (SPD) der Nachrichtenagentur dpa: „Unsere Aufgabe muss es sein, Menschen eine gesicherte Zukunft zu bieten, die schon so lange hier leben, die faktisch schon integriert sind, wo die Kinder hier geboren sind und die Schule besucht haben.“
Rechtsanwalt Sürig findet, dass das genau auf seine Mandanten passt. „Es springt einen geradezu an, dass diese Familie dafür in Betracht kommt“, sagt er. Die Mutter, Bademe Salji, lebe seit 1997 ununterbrochen in Deutschland, der Vater, Neki Nurkovic, sogar noch länger. Vier Kinder seien zwischen 2001 und 2010 in Deutschland geboren, eine ältere Schwester hier aufgewachsen. Die Kinder gingen regelmäßig zur Schule und sprächen fließend Deutsch. Ihre erwachsene Schwester habe einen regulären Job. Ihre Aufenthaltserlaubnis sei kürzlich verlängert worden.
"Schnell noch abschieben"
Sürig wirft dem zuständigen Landratsamt Vechta vor, es wolle seine Mandanten schnell noch abschieben, „bevor die Humanisierung greift“. In seinem Schriftsatz verweist er auf einen Gesetzentwurf Hamburgs für eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung, die der Bundesrat in den Bundestag einbringen will. Niedersachsen hat den Hamburger Vorstoß im Bundesrat unterstützt.
Paradigmenwechsel auch in Schleswig-Holstein? Das Kieler Justizministerium will die Abschiebehaft humaner gestalten - und vielleicht sogar ganz abschaffen. Innenminister Andreas Breitner (SPD) setzt sich auf Bundesebene für ein Ende ein. Bis dahin will man im eigenen Zuständigkeitsbereich Lockerungen ermöglichen:
Abschiebehäftlinge dürfen künftig Privatkleidung tragen, Mobiltelefone nutzen und mehr Besuch empfangen. Duschzeiten und Freizeitangebote wurden ausgeweitet und ein Andachtsraum eingerichtet.
Die Bediensteten erhalten einen besseren Schallschutz, mehr Fortbildungen und einen schöneren Pausenraum.
Radikallösung: Die Landesregierung aus SPD, SSW und Grünen plant, noch weiter zu gehen. Bis Ende des Jahres will sie entscheiden, ob das Abschiebegefängnis Rendsburg geschlossen wird.
Demnach soll bleiben dürfen, bei dem unter „Betrachtung seiner bisherigen Schul-, Ausbildungs- und Einkommenssituation sowie der familiären Lebenssituation zu erwarten ist, dass er seinen Lebensunterhalt sichern wird“ – ohne Leistungen der Grundsicherung in Anspruch zu nehmen. Das sei bei den Kindern, insbesondere mit Blick auf das Beispiel ihrer großen Schwester zu erwarten, argumentiert Sürig.
"Desaster" für die Kinder
Fünf Kinder hier straffrei aufzuziehen, sei ein Integrationsleistung, die gewürdigt werden müsse, findet Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Eine Abschiebung wäre seiner Ansicht nach fatal. „Für die Kinder stellt eine solche Perspektive ein Desaster dar“, warnt Weber. „Wir würden uns die Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis wünschen.“ Die vorige Landesregierung habe das kategorisch abgelehnt.
Weber setzt im Übrigen auf das Versprechen von Innenminister Pistorius, dass Härtefälle eingehend geprüft würden. Er habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass dieses ernst gemeint sei. Er würde der Familie dringend raten, sich an das Ministerium zu wenden, sagt der Sprecher des Flüchtlingsrats.
„Der Minister wird sich nächste Woche über den Fall berichten lassen“, sagt Pistorius’ Sprecherin Vera Wucherpfennig. „Bis dahin wird auf keinen Fall abgeschoben.“ Weiteres lasse sich noch nicht sagen, weil noch nicht alle nötigen Akten beisammen seien.
Pistorius und mit ihm die ganze neue Landesregierung war vor einigen Wochen beim Thema Abschiebepolitik unter Druck gekommen, weil zwei Tage nach seiner Amtsübernahme eine Roma-Familie in das Kosovo abgeschoben und dabei auseinandergerissen worden war. Pistorius entschuldigte sich und bekräftigte den Willen der rot-grünen Koalition, die Flüchtlingspolitik humaner zu gestalten als sein Vorgänger, der Hardliner Uwe Schünemann von der CDU.
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