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„Innere Abschaltquote“

■ Immer mehr West-Zuschauer desertieren vom Schirm

Hamburg (afp) — Zumindest in Westdeutschland ist die jahrzehntelange Vorherrschaft des Fernsehapparates endgültig gebrochen: Das Interesse an der Glotze ging in den vergangenen Monaten weiter deutlich zurück, fand das B.A.T.-Freizeitforschungsinstitut in einer Repräsentativ-Umfrage heraus. Demnach haben sich im vergangenen Jahr noch 44Prozent der Zuschauer voll auf das TV-Programm konzentriert — die restlichen lasen dabei, telefonierten, plauderten, bügelten, bastelten oder reinigten schmutzige Teller. In diesem Jahr sank die Zahl auf 38Prozent.

Die „Einschlafquote“ nahm dagegen weiter zu: Etwa zwölf Prozent nicken während der Sendung weg. Vor einem Jahr waren es nur sieben Prozent. Befragt wurden 2.000 Frauen und Männer in den alten Bundesländern.

Bei Familien mit Kindern unter 14 Jahren liegt der Anteil der „Abtrünnigen“ sogar bei 68Prozent. Einpersonen-Haushalte demonstrieren nach dieser Studie mit einer „Wegseh“-Quote von 58Prozent noch die größte TV-Treue. Auffallende Unterschiede in den Fernsehgewohnheiten zeigten sich bei den Befragten je nach Schulbildung. Bei Personen mit Haupt- und Volksschulbildung könne sich nur eine knappe Mehrheit von 57Prozent für eine „Nebenbei“- Beschäftigung begeistern. Dagegen machten 80Prozent der Abiturienten das Fernsehen inzwischen zum reinen „Begleitmedium“. Die zunehmende Werbung im Fernsehen geht vielen Zuschauern offensichtlich auf den Geist. 81Prozent der Befragten gaben laut Untersuchung an, sich bei Werbesendungen vom Bildschirm abzuwenden. Hohe innere Abschaltquoten wiesen auch die Spielshows mit 78 (Vorjahr: 67) Prozent auf. „Die Zuschauer schätzen die Spielshows realistisch als das ein, was sie wirklich sind: bloße Zeitvertreiber“, sagte Freizeitforscher Professor Horst Opaschowski. Die Zuschauer könnten jederzeit ein- und wieder aussteigen, die Sendungen seien austauschbar. Deutlich ist der Einbruch auch bei Spielfilmen: „Von allen Zuschauern, die sich einen Spielfilm angesehen haben, waren etwa zwei Drittel anderweitig beschäftigt“, so die Studie. Relativ stabil in der Zuschauergunst erwiesen sich aktuelle TV-Sendungen mit Live-Charakter: politische Magazine, Sportsendungen, Nachrichten wie Dokumentationen und Reportagen. „Im gleichen Maße, wie das Fernsehen als Unterhaltungsmedium durch die Konkurrenz anderer Freizeitangebote immer entbehrlicher wird, wächst seine Bedeutung als aktuelles Informationsmedium“, meinen die Freizeitforscher.

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