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Inferno als Ort des Gelächters

Im Zweifel der schlechtestmögliche Witz: Mit der Harald-Schmidt-Show wurde die geistige Befindlichkeit von Medium, Humorbranche und Land endlich konsequent zu Ende gedacht  ■ Von Peter Unfried

So also beginnt es. Jeden Abend aus dem Kölner „Capitol“. Ein Mann stellt sich vor:

Mein Name ist Michael Stich.

Mein Name ist O. J. Simpson.

Mein Name ist Günther Jauch.

Mein Name ist Aad de Mos.

Mein Name ist Stefan Aust.

Ein Showmaster probiert Namen an wie Kleider?

Sein Name sei Töpperwien. Gut, aber nein: Sein Name sei Schmidt!

Und zu seiner Late-night-Show kann man prima onanieren. Das jedenfalls ließ der Vater von Studiogast Peter Kern ausrichten. „Sehr gut“, antwortete schlagfertig der Gastgeber, „dafür machen wir die Sendung ja.“

Es gibt noch ein paar andere Gründe, die mit dem Sender Sat.1 zusammenhängen, seinem Programmgeschäftsführer Fred Kogel und: Einschaltquoten, Reichweiten und Werbeeinnahmen. In der Hoffnung auf diese Heiligen Drei Könige hat Kogel die Schmidt- Show zur „schärfsten, zynischsten, blödsinnigsten Show des deutschen Fernsehens“ machen wollen. Und was soll man nach 29 Sendungen sagen? Es hat – läßt man Einschaltquote, Reichweite und Werbeeinnahmen außen vor – prima geklappt.

Wer behauptet, Schmidt kopiere bloß schlecht das US-Vorbild David Letterman und damit letztlich auch die Vorgängerkopien von Koschwitz und Gottschalk, ist entweder von RTL oder tut ihm unrecht. Sehr unrecht. Während die Genannten hilflos im vorgegebenen Format hin und her irrten, hat der gelernte Kabarettist längst jenes US-Format schmidtisiert, das vor Letterman Johnny Carson definierte und nun neben ihm Jay Leno variiert: Die Tasse, aus der Letterman zu trinken pflegt, war bei Schmidt von Beginn an leer. Später „trank“ er ohne Tasse. Einmal aß er sie auf. So hat er zwar Handbewegungen, Lachen, Redewendungen übernommen – und doch dabei das Vorbild Schritt für Schritt überwunden.

Schmidts Show fußt auf einem Prinzip: Kein Witz ist zu schlecht, als daß man ihn leichtfertig weglassen könnte. Die Standardthemen sind: Alkoholiker Jelzin, Vater Graf, Lothar Matthäus' Ehe, Polenwitze. Stellvertretend für das Humorverständnis sei ein „Fotoquiz“ erzählt: Prince Charles, ein Hase („Rammler“), Mr. Spock und Trashblondine Pamela Anderson. Wer paßt nicht dazu? Anderson. „Sie hat“, sagt Schmidt, „keine großen Ohren.“

Letterman ist zynisch – aber Schmidt, das muß für ihn höchstes Lob sein – ist zynischer. Inzwischen besteht ja hierzulande die halbe Humor-Branche aus „postmodernen Zynikern“ (SZ), und immer noch kann keiner Schmidt das Wasser lassen. Dabei hat der nur das Wort Unterhaltung ernst genommen. Und was das Niveau betrifft, das Prinzip Rubenbauer konsequent zu Ende gedacht: Unterhaltung ist, wenn gelacht wird. Irgendeiner lacht.

Und weil man es in Deutschland ja nicht so damit hat, werden die Dialoge mit den „Talk“-Gästen geprobt. Das ist professionell. Nicht professionell ist, wenn eine wie Heide Keller zwar „weiß, was ich eigentlich sagen muß“, dann aber was anderes sagt. Oder ist es superprofessionell, weil bei Schmidt immer auch das allerdings längst zur inhaltsleeren Pose erstarrte Prinzip der ironischen Brechung gilt? Die „Themen“? Worüber soll man sich mit einem wie Hellmuth Karasek anders unterhalten als über seine Jeans? Auch für den mindestens ebenso uninteressanten Burt Reynolds ein Thema zu finden ist nicht einfach. Aber möglich! Der Arsch von Demi Moore ist „hart wie eine Skulptur“ (Reynolds). Schmidt: „Hot stuff?“ Reynolds: „Yes.“

Schmidt, man merkt es, redet nur über Dinge, die wirklich wichtig sind. Also die, die in der Bild- Zeitung stehen. Jene ist selbstredend Hauptinformations- und -inspirationsquelle seiner Redaktion. Anders freilich als das bisweilen etwas hausbackene Blatt, das seine Absicht noch mit Botschaft und Moral mogelverpacken muß, serviert Schmidt pur: Bösartigkeit um der Bösartigkeit willen. Maul zerreißen aus dem einen Grund: weil das Leben ein Mülleimer ist. So ist es nur konsequent, daß das herausragende Ereignis der letzten Wochen für Schmidt der Bordellbesuch des ZDF-Sportreporters Rolf Töpperwien war.

Ach ja, Schmidt ist dankbar: jedem, der blöd ist, und dem speziell, der sich beim Blödsein erwischen läßt. Ist einer mal nicht blöd? Wird er blöd gemacht. Selbstverständlich ist es irrelevant, ob Schmidt seine täglich entstellter daherkommenden Comicfiguren Schrowange, Eligmann, Töpperwien nur entlarvt und demaskiert oder auch richtig lebendige Menschen vernichtet. Erstens trifft sein Speichel meist die Richtigen, wie beim „Pur“-Sänger Hartmut Engler eindrucksvoll bewiesen. Zweitens hat Schmidt sich selbst nur erfunden. Immer Obacht: Die Rede ist nicht hier und auch sonst selten von dem Bub aus dem schwäbischen Nürtingen (38). Immer von der Kunstfigur Schmidt, dem „dummen Schwein“ (Schmidt), das sich – wie die Tittenkönigin Anderson übrigens auch – hauptsächlich deshalb so erschaffen hat, weil es eine Marktlücke dafür gab, die den eigenen Möglichkeiten optimal entsprach. Die Dummen sind nie die, die gut bezahlt werden. Ein Satz von so schlichter Größe, daß er fast von Schmidt sein könnte.

Komm so einem bloß nie mit Moral! Moral ist nicht witzig. Wer Moral hat, hat nichts zu lachen. Seine Moral: Je blöder die Welt, desto besser seine Sendung.

Übrigens kommt natürlich ungeschoren davon, wer zu Schmidt in die Sendung kommt. Den Gästen dreht der Gastgeber galant seinen Sessel zu, Beine breit, Hand auf den Knien. „Für das Publikum ist es ganz toll, jemand in ihrem schönen Alter zu sehen“, sagt er dann zu Heidi Kabel. Das ist völlig unironisch. Schmidt will nichts von der Kabel. Von keinem seiner Gäste. Über den, der im Raum ist, wird nicht gelästert. Auch das ist 1:1 das Leben. Am liebsten hat er Gäste wie Ingolf Lück, die keine Identität haben. Oder solche wie die gnadenlose Ulla Kock am Brink. Zum Thema Jagdhorn schafft es so eine Kock nicht um den Satz: „Du bläst besser als ich.“ Aber „ohne Scheiß“ (Brink): Diesmal versagte Schmidt total und ging nicht darauf ein. Doch heute, da darf man getrost sicher sein, ist nicht alle Tage.

Jene unterste Hölle aber, wo der Widerruf der Genesis praktiziert werde, so ähnlich hat Walter Jens einst argumentiert, sei von der frömmsten Komödie nicht mehr erreichbar. Jens dachte an Dante. Seinerzeit gab es die „Harald- Schmidt-Show“ noch nicht.

Sagen wir so: Schmidt hat dem Verachtenswerten, dem Zynischen, dem Nihilistischen, der harmlos daherkommenden Variante des abgrundtief Superbösen einen Namen gegeben: Schmidt! Das Leben ist eine teuflische Komödie. Seine Show: das Inferno als Ort des Gelächters! Vielleicht will er, der an Migräneanfällen leidet, sich auch nur dafür an der Welt rächen.

Indem er zeigt: Ihr Name ist ja längst Schmidt-Welt. Nein: Schmidt-Show.

Ihr Name ist Schmidt.

Schmidt ist Schmidt.

Schmidt.

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