MACHTVERHÄLTNISSE : Infantile Mode
Als behaarter und schwitzender Mensch muss man gewisse Dinge von Zeit zu Zeit an der Wurzel des Übels packen. Dabei hilft eine professionelle Kosmetikerin, die einen ganz klaren Auftrag bekommt: Ich tippe auf die Kategorie Beine, sie empfiehlt Intim, wir einigen uns auf Beine, Bikini nur so viel wie nötig. Eben so, dass man am See nicht atavistisch auffällt.
Trotzdem beginnt das Prozedere jedes Mal damit, dass die temperamentvolle Türkin ihren Auftrag sofort infrage stellt, sobald ich liege. Ich wiederhole geduldig, dass ich keineswegs eine Komplettrasur wünsche – Mode hin oder her. Dann schnalzt sie mit der Zunge und kommentiert: „Tststs, muss alles weg.“
Dann kommt das lauwarme Wachs, sie verteilt es großzügig auf die Beine, die demütigend angewinkelt zu sein haben. Ich presse die Lippen zusammen und versuche gleichzeitig „bitte nur auf der Seite“ zu artikulieren. Die Türkin müht sich nicht einmal einen Blick in meine Richtung ab, drückte mich auf die Liege zurück und zischt: „Beine mehr auseinander!“ Hilflos liegt man dann da, verflucht gleichermaßen die Antike (das Wachs) und die Moderne (den Bikini) und wünscht sich mindestens ein Zauberwort, wenn nicht gar einen Gott, den man jetzt anrufen könnte. Doch da oben läuft nur kitschiger, orientalischer Pop. Die Türkin summt heiter den Text zum Lied und macht sich an die Arbeit. Ritsch, ratsch.
Die Enthaarung selbst schmerzt stets erstaunlich wenig. Doch je näher sich die strenge Türkin der Mitte nähert, umso mehr klappern die Zähne. „Mannen nicht gefallen, das. Sie müssen machen weg, Schatzeli“, murmelt sie, während ich Autorität zu zeigen versuche und mich weigere, darüber auch nur zu diskutieren. Obwohl sie mir mehr Haare lässt, als ihr lieb ist, steht am Schluss das Machtverhältnis fest: Verlangt sie doch stets den teureren Preis für Intim statt Beine oder Bikini. GINA BUCHER