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Indien warnt Pakistan vor Intervention

■ Moslemische Separatisten erschossen drei Geiseln in Kaschmir / Indiens Ministerpräsident spricht von Krieg Die Separatisten finden Unterstützung im fundamentalistischen Lager - vom Libanon bis in den Iran

Jammu (taz/afp/ips) - Vor einer militärischen Einmischung in den Konflikt im nordindischen Bundesland Jammu-Kaschmir hat der neue indische Ministerpräsident V.P. Singh am Dienstag Pakistan gewarnt. Wie so oft reagierte Neu-Delhi auf die Gewalt der Sezessionsbewegungen mit dem Fingerzeig nach Pakistan. Im Falle einer Intervention müsse Pakistan einen „sehr hohen Preis“ zahlen.

Zuvor hatten moslemische Separatisten auf kaltblütige Weise drei Geiseln erschossen, die sie am Freitag entführt hatten. Die Leichen des Vizekanzlers der Universität von Kaschmir, Mashmir Ul-Haq, und seines Assistenten Abdul Gani wurden in einem Stadtviertel von Srinagar erschossen aufgefunden. Die von Kugeln durchsiebte Leiche des Managers H.L. Khera war wenige Stunden zuvor in Kaschmirs Winterhauptstadt Jammu entdeckt worden.

Zu der Entführung hatte sich die Jugendorganisation der Befreiungsfront Jammus und Kaschmirs (JKLF) bekannt. Sie hatte die Freilassung eines inhaftierten Genossen verlangt, was von der Regierung jedoch trotz verzweifelter Appelle der Verwandten der Entführten strikt abgelehnt worden war.

Die JKLF gilt als die stärkste anti-indische Fraktion und hatte bereits im Dezember durch die Entführung der Tochter des damaligen Premierministers auf sich aufmerksam gemacht und im Gegenzug die Freilassung von fünf Freiheitskämpfern erzwungen. Sie fordert ein freies unabhängiges, weder von Islamabad noch von Neu-Delhi kontrolliertes Kaschmir. Ihr Führer Amanullah Khan hält sich jedoch in der angrenzenden pakistanischen Azad-Kaschmir-Region auf. Von ihm wird angenommen, daß er der wichtigste Verbindungsmann zwischen dem pakistanischen Geheimdienst und den von ihm ausgebildeten Kämpfern in Kaschmir ist.

Auf Rückhalt in Pakistan können sich aber auch diverse andere Gruppierungen verlassen. So bekennen die „Tiger Allahs“ ganz offen ihre Verbindungen zur Hezbe-i-Islami des Geulbuddin Hekmatyar, der noch immer erbittert gegen das Kabuler Regime kämpft. Allen voran haben sie zu einer Säuberung der Gesellschaft und zur Erhaltung der islamischen Tugenden aufgerufen. Bereits vergangenen Sommer mußten nach massiven Drohungen sämtliche Alkoholläden, Schönheitssalons, die zehn Kinos und einschlägigen Videoclubs geschlossen werden. Der Chef dieser Gruppierung, Noor Khan, behauptet, er verfüge über hochentwickelte Waffen aus Beständen der Mudschaheddin. In den Waffenlagern der autonomen Stammesgebiete, entlang der afganisch-pakistanischen Grenze, sollen sich nicht nur indische Sikh-Separatisten mit Waffen ausstatten.

Die indischen Vorwürfe, Pakistan unterhalte Ausbildungslager für die Separatisten, konnten zwar nicht erhärtet werden. Laut Geheimdienstberichten wurden allerdings noch unter dem abgestürzten pakistanischen Diktator Zia-ul-Haq 300 militante Fundamentalisten in den indo-pakistanischen Grenzgebieten ausgebildet.

Die Bhutto-Regierung hat in den vergangenen Wochen keine Mühen gescheut, ein militärisches Engagement im Nachbarterritorium zu leugnen; unter innenpolitischem Druck bemühte sie sich um eine klare Haltung: Mit der eigenständigen Kaschmirbewegung habe Islamabad nichts zu tun, in den UNO-Resolutionen von 1948, 1949 und 1957 werde allerdings ein Plebiszit über die Zukunft Kaschmirs eingeklagt.

Ganz unverhohlen sicherte indes der Führer der proiranischen libanesischen Schiitenbewegung Hisbollah, Abbas Mussawi, unlängst vor mehreren hundert Flüchtlingen in der Hauptstadt der pakistanischen Kaschmirregion seine „volle Unterstützung“ für den Kampf der Separationsbewegung zu. Unterstützung findet die Unabhängigkeitsbewegung aber auch in Teheran. Unmittelbar nach Entsendung der indischen Truppen ins nördliche Bundesland lud die iranische Regierung den angesagten indischen Außenminister kurzerhand wieder aus. Tatsächlich haben iranische Medien dem Kaschmirthema in der letzten Dekade zuweilen mehr Aufmerksamkeit geschenkt als die pakistanschen; die Mullahs in Teheran können an alte Bande anknüpfen. Oft heißt es auch „Iran-e-Sagheer“ (Klein -Iran), wenn von Kaschmir die Rede ist. Es war ein persischer Geistlicher, Shah Hamadan, der die Mehrheit der Kaschmiris zum Islam bekehrte. Selbst die Vorfahren des Imam Chomeini sollen in Kaschmir gelebt haben.

sl

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