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Indien verhandelt mit Geiselnehmern

■ Bangen um die vier überlebenden Entführten: Militärschlag gegen kaschmirische Rebellen nicht ausgeschlossen

Berlin (taz) – Indiens Regierung hält sich in der Geiselaffäre in Kaschmir alle Optionen offen. Nach der angeblichen Drohung der Rebellengruppe „al-Faran“, bis heute alle vier noch lebenden ausländischen Geiseln zu ermorden, erklärte Innenminister Padmanabhaiah, die Regierung wolle den Dialog fortsetzen. Damit enthüllte er, daß die Regierung mit den Entführern spricht. Sicherheitsminister Rajesh Pilot dagegen schloß den von al- Faran geforderten Tausch der Geiseln gegen 15 inhaftierte kaschmirische Separatistenführer strikt aus. Ein Armeesprecher drohte gar mit einer Militäraktion.

Das wäre riskant: Der heutige Dienstag ist zugleich Indiens Nationalfeiertag, und für den Mittwoch haben diverse kaschmirische Organisationen einen Generalstreik angekündigt, so daß die Eskalation vorgezeichnet wäre. Andererseits ist es möglich, daß Indiens Regierung mehr weiß, als sie zugibt, und den Konflikt bewußt herbeiführen will. Denn der Tod des Norwegers Hans-Christian Ostro – eine der fünf Geiseln, die al-Faran Anfang Juli in ihre Gewalt gebracht hatte – birgt viele Rätsel.

Zunächst hatte die Polizei nur bekanntgegeben, Ostros Leiche sei enthauptet gefunden worden, in den Bauch seien die Urdu-Schriftzeichen für „al-Faran“ eingeritzt gewesen und daneben habe ein Zettel gelegen mit der Erklärung: „Wenn unsere Forderung nicht innerhalb von zwei Tagen erfüllt wird, werden auch die anderen vier Gefangenen sterben müssen.“ Daraufhin war amtlicherseits von Mord die Rede. Später hieß es dann, die Leiche sei sehr stark abgemagert und es gebe einen anderen, von Ostro selbst geschriebenen Zettel mit den Worten: „Ich sterbe, hier ist nichts zu essen.“ So ist denkbar, daß der Norweger an Entkräftung gestorben ist. Schon am 5. August hatte al-Faran mitgeteilt, ihre Geiseln seien schwerkrank. Merkwürdig ist auch, daß die Behörden in Kaschmir am Wochenende beteuerten, keine Ahnung zu haben, wo die Rebellen steckten. Al-Faran hatte mehrfach von Durchsuchungen ihres Unterschlupfgebietes durch Soldaten und von Schußwechseln berichtet.

Von solchen Ungereimtheiten ist es nicht weit zu der gestern erhobenen Anschuldigung des pakistanischen Botschafters in Bonn, Assad Durrani, die indischen Sicherheitskräfte hätten die ganze Entführung arrangiert. Zuvor hatte Indien wiederum behauptet, Pakistan stecke hinter der ganzen Angelegenheit.

Die al-Faran ist indischen Einschätzungen zufolge eine Abspaltung der „Harkat ul-Ansar“, einer von Pakistan aus operierenden und möglicherweise auch vom dortigen Geheimdienst ausgerüsteten Islamistenarmee, die gemeinsam mit afghanischen Mudschaheddin für den Anschluß Kaschmirs an Pakistan kämpft. Doch durch seine oft brutalen Aktionen nützt der Kampf der Islamisten vor allem Indien, denn er hilft der indischen Armee, ihr Image aufzupolieren, das nach über 20.000 zivilen Opfern in fünf Jahren Krieg gegen Kaschmirs Unabhängigkeitskämpfer arg lädiert ist.

Gemäßigtere Gruppen, die für ein unabhängiges Kaschmir eintreten, kritisieren denn auch regelmäßig die Islamisten und haben auch die Entführung der Ausländer verurteilt. Sie befürchten, in jedem Fall die Verlierer zu sein – egal, ob Indien heute sein Militär auf Rebellensuche ausschwärmen läßt oder die al-Faran nachgibt. D.J.

Kommentar Seite 10

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