In eigener Sache: Ringen um einen Text

Eine taz-Kolumne mit dem Titel „All cops are berufsunfähig“ sorgt derzeit für Empörung wie für Zustimmung. Jetzt wollen wir mit Ihnen diskutieren.

taz-Haus in der Friedrichstraße

Das taz-Gebäude in der Friedrichstraße Foto: Paul Zinken/dpa

Am Montag ist in der taz eine Kolumne erschienen, die sich unter dem Titel „All cops are berufsunfähig“ mit einer Debatte über die Abschaffung der Polizei befasst. Der Text hat hohe Wellen geschlagen, die Polizeigewerkschaften haben mehrere Anzeigen wegen angeblicher Volksverhetzung gestellt, die Berliner Polizeipräsidentin ein Rundschreiben an ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschickt.

Montag: Die Kolumne „Habibitus“ der taz-Autor:in Hengameh Yaghoobifarah erscheint in der Print-Ausgabe der taz und auf unserer Webseite.

Dienstag: Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) erstattet Strafanzeige „wegen Volksverhetzung und aller sonst in Betracht kommenden Delikte“ gegen die taz. DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt sagt: „Wie hasserfüllt, degeneriert und voller Gewaltbereitschaft muss man eigentlich sein, um solche widerlichen Gedanken aufzuschreiben?“ Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) erstattet Strafanzeige. Nachrichtenagenturen berichten.

Mittwoch: In der taz geht die Diskussion um den Text weiter. Die Belegschaft ist gespalten in Kriti­ker*in­nen und Befürworter*innen. Erboste Genoss*innen kündigen ihr Abo. Der Autor und Schauspieler Schlecky Silberstein verteidigt die Kolumne auf Deutschlandradio Kultur: „Denn dieser Text ist eine ganz klare Satire. Wer das nicht versteht, der hat erst einmal ein individuelles Problem.“

Donnerstag: Die CSU veröffentlicht auf Twitter einen Steckbrief mit einem Foto der Autor:in und schreibt: „Die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken in Deutschland zeigt sich. (…) SIE will Polizisten als Abfall auf der Müllhalde entsorgen!“ Dafür erntet sie einen Shitstorm, die Kolumnist:in erfährt Solidarisierung. Später wird der Tweet gelöscht. Markus Blume, Generalsekretär der CSU, entschuldigt sich auf Twitter: „Unsere Kritik an @tazgezwitscher ist richtig, die Form war es nicht.“

Freitag: Satiriker Jan Böhmermann verteidigt in seinem Podcast „Fest & Flauschig“ die taz gegenüber der Polizei. (sis)

Samstag: In der taz am wochenende kündigt Chefredakteurin Barbara Junge eine redaktionsinterne, aber offen geführte Debatte über die die Kolumne von Hengameh Yaghoobifarah an. Zum Auftakt kritisiert Stefan Reinecke unter der Überschrift „Wir müssen reden“ den Text.

Der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter hält unsere Autorin sogar für einen Fall für den Verfassungsschutz. Und die CSU veröffentlichte auf Twitter ein Foto der Autor.in mit dem Zusatz: „Die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken“, das wirkte wie ein Pranger (mittlerweile hat die CSU den Tweet gelöscht und sich für die Form entschuldigt). Unsere Autor.in wurde so und wird seitdem zur direkten Zielscheibe von Hass und Hetze gemacht. Wir sorgen uns um unsere Kolleg.in.

Seit Erscheinen der Kolumne wird in der taz intensiv über den Text diskutiert, und viele Leserinnen und Leser haben uns ihre Empörung mitgeteilt. Eine Passage liest sich, als ob Polizisten mit Abfall gleichgesetzt werden.

Satire darf fast alles – sogar in ihrer Wortwahl danebengreifen. Aber Menschen, egal welcher Berufsgruppe, als Müll zu bezeichnen, widerspricht fundamental dem Selbstverständnis der taz, die sich einer menschlicheren Gesellschaft verschrieben hat. Eine Kolumne, so satirisch sie auch gemeint gewesen sein mag, die so verstanden werden kann, als seien Polizisten nichts als Abfall, ist daneben gegangen. Das tut mir leid.

Ringen um den Text legt Konflikt offen

Das Ringen in der Redaktion über den Text und darüber, was gesagt werden soll, darf und muss, legt aber auch einen tieferen Konflikt in der taz offen. Wir streiten darum, wie stark der subjektive Blick, wie stark Diskriminierungserfahrung den Journalismus prägen soll oder darf. Identität, Repräsentation und Antidiskriminierung haben in den gesellschaftlichen Debatten inzwischen einen ganz anderen Stellenwert. Die Frage, ob das einen anderen Journalismus definieren darf oder muss, hat zu einem lange schwelenden Konflikt in der taz geführt.

Wir haben uns entschlossen, diesen Konflikt nicht zu verdrängen, sondern ihn auszutragen, auch in der taz. Mit einem Debattenbeitrag von Stefan Reinecke fangen wir damit jetzt an. Auch Bettina Gaus widmet dem ihre Kolumne. Weitere Texte aus anderen, aus unterschiedlichen Perspektiven sollen folgen. Wir werden dafür auch Platz auf unserer Seite schaffen, auf der wir die Diskussion mit unseren Leserinnen und Lesern suchen. Beteiligen Sie sich bitte an dieser Debatte – und bleiben Sie uns gewogen.

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