: In dubio pro libertate
■ Zur Aufhebung des Urteils gegen Ralph Giordano
Das Bundesverfassungsgericht hat ein Urteil des Oberlandesgerichts München aufgehoben, das dem Schriftsteller Ralph Giordano verboten hatte, den verstorbenen bayerischen Ministerpräsidenten Strauß als „Zwangsdemokraten“ zu bezeichnen. Begründung: Auch „ausfällige“ Kritik an Personen sei in der öffentlichen Auseinandersetzung vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit geschützt.
Die Entscheidung der obersten bundesdeutschen Rechtsinstanz ist in ihrer Weisheit alles andere als selbstverständlich. In der Bundesrepublik kämpfen noch immer Postbeamte, Lokomotivführer und Physiklehrer gegen die staatliche Anmaßung, politische Meinungsäußerungen mit Sanktionen - bis hin zum Verbot der Berufsausübung - belegen zu wollen. Hart an die Schmerzgrenze der Lächerlichkeit wurden Haus-, Schul- und Betriebsverbote gegen TrägerInnen von Buttons und Anstecknadeln getrieben, auf denen etwa der dringende Wunsch nach Ausstieg aus der Kernenergie oder dem politischen Ende von Franz-Josef Strauß formuliert wurden.
Parallel dazu hat sich die politische Auseinandersetzung jedenfalls bis zum konsensfördernden Zwang zur deutschen Einheit - stets verschärft. „Ausfällige Kritik“ wäre eine verharmlosende Charakterisierung für all die maßlosen Tiraden der Geißler und Kohl, Möllemann, Todenhöfer und Rappe, die eher der innerparteilichen Aufrüstung dienten als dem streitbaren demokratischen Diskurs. Doch ist die Kritikempfindlichkeit paradoxerweise ja gerade bei jenen besonders ausgeprägt, die selbst nichts dabei finden, vor aller Öffentlichkeit die ungeheuerlichsten Lügen zu verbreiten. Das Lob für Pinochet und die Leugnung seiner Verbrechen durch den damaligen CDU-Bundesgeschäftsführer Bruno Heck etwa ist gerade angesichts der gegenwärtigen Entdeckung immer neuer Massengräber in Chile eine drastische Erinnerung an die Unverzichtbarkeit der öffentlichen - wo nötig, auch scharfen bzw. „ausfälligen“ Auseinandersetzung. An das deutliche demokratische Signal aus Karlsruhe wird in zukünftigen Konflikten der Republik Deutschland möglicherweise zu erinnern sein.
Reinhard Mohr
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