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In die „Unabhängigkeit“ getrieben

■ In aller Heimlichkeit entschied sich die Marionettenregierung des Homeland Kwandebele am Mittwoch gegen den Willen der Mehrheit der Bevölkerung für die „Unabhängigkeit“ / Opposition wurde im Ausnahmezustand mundtot gemacht

Von Michael Fischer

Johannesburg (taz) - In Decken gehüllte Gestalten schwanken im flackernden Licht der spärlichen Notbeleuchtung. Wie leblose Puppen bewegen sie sich im Takt der gewellten Sandpiste, auf der unser Bus mit ohrenbetäubendem Lärm durch den dunklen Busch rast. Es ist kurz vor fünf Uhr morgens. Trotz des starken Rüttelns und Klapperns gelingt es einigen der Mitreisenden zu schlafen. Nach vorne gebeugt, den Kopf mit einem kleinen Schaumgummistück auf der Kante des Vordersitzes abgestützt, schaffen sie es, einen Teil des ihnen geraubten Schlafes zurückzuerobern. Die etwas mehr als 60 Passagiere des Putco–Busses Nummer 5163 sind Teil der Millionen von schwarzen Pendlern, die täglich aus Südafrikas Homelands und Townships in die weißen Industriezentren transportiert werden. Unser Bus kommt aus Bloedfontain, einem winzigen Flecken im Homeland Kwandebele, ungefähr 150 Kilometer von Pretoria und Johannesburg entfernt. Bis zu drei Stunden dauert es, bevor die Pendler auf Busse und Züge umsteigen können, die sie zu ihren Arbeitsplätzen bringen - in Gebieten, in denen sie nicht wohnen dürfen. Für manche bedeutet das an jedem Arbeitstag eine Fahrtdauer von bis zu acht Stunden in spartanisch ausgerüsteten Bussen. Allein aus Kwandebele, einem trostlos trockenen, entsetzlich armen, aber dicht besiedelten Schlafbezirk mitten im Busch werden täglich mehr als 40.000 Menschen zur Arbeit in die burische Hauptstadt und das benachbarte Johannesburg gekarrt. Jeden Morgen und jeden Abend beherrschen Konvois von Putco– Bussen, insgesamt über 300, die wenigen Straßen, die das schwarze Homeland mit den weißen Gebieten verbindet. In Kwandebele gibt es weder Industrie, noch ist es auf dem dicht besiedel ten Land möglich, Landwirtschaft zu betreiben. Trotzdem entschied sich die vom südafrikanischen Apartheidregime eingesetzte Homeland– Regierung am Mittwoch für die „Unabhängigkeit“. Der Zeitpunkt war gut gewählt, war die außerparlamentarische Opposition doch mit dem Generalstreik gegen die am selben Tag stattfindenden ausschließlich weißen Wahlen beschäftigt. Deshalb kam es dieses Mal, im Unterschied zum letzten August, als der Versuch der despotischen Marionettenregierung, die „Unabhängigkeit“ mit brutaler Gewalt durchzusetzen, am entschiedenen Widerstand der Homeland–Bewohner scheiterte, auch zu keinen nennenswerten Protesten. Damals hatte der überraschende Sieg der Unabhängigkeitsgegner, einer ungewöhnlichen Koalition aus Jugendgruppen und der traditionellen Königsfamilie, den Apartheid–Strategen einen dicken Strich durch die Rechnung gemacht. Sie sahen ihr gesamtes Vorhaben gefährdet, die schwarze Bevölkerungsmehrheit aus den „weißen“ Gebieten in „unabhängige“ schwarze Homelands und Stadtstaaten umzusiedeln, um so langfristig zu verhindern, mit den Schwarzen die politische Macht teilen zu müssen. Zu dritt klemmen wir in einer Sitzreihe in dem voll besetzten Bus, der sich inzwischen in den Putco–Konvoi eingegliedert hat. Neben mir sitzt eine Frau im blauen Sommerkleid. Sie erklärt mir trotz des ohrenbetäubenden Dröhnens, daß sie und ihre Familie schon vor einigen Jahren aus einer fruchtbaren Gegend südwestlich von Johannesburg vertrieben worden sind, wo sie Land besessen hatten und es ihnen ganz gut gegangen war. Jetzt leben sie zu acht in der Nähe von Bloedfontain in einer kleinen Hütte. Da es keine Arbeit gibt, muß sie jeden Tag in einen Vorort von Pretoria fahren, wo sie als Putzfrau in einem Supermarkt arbeitet. Ein großer Teil ih res Einkommens geht für die Fahrtkosten drauf, obwohl - wie uns Robin Duff, der Werbechef des Busunternehmens Putco später erklärte - die Fahrpreise bis zu neunzig Prozent von dem Apartheidregime subventioniert werden. Sie ist Anfang dreißig, und trotz der frühen Morgenstunde munter und guter Dinge. Nach anfänglicher Zurückhaltung - Weiße sind von der Beförderung in diesen Bussen ausgeschlossen und würden von sich aus wohl auch nie auf die Idee kommen, eine solche Reise zu unternehmen - erzählt sie mir, daß sie sechs Tage in der Woche kurz vor drei Uhr aufsteht, um im Dunklen zur etwa zwei Kilometer entfernten Sandpiste zu laufen, wo der Bus sie in der Regel um halb vier aufpickt. Wenn sie keine Einkäufe in der Stadt zu erledigen hat, kann sie um halb neun wieder zu Hause sein. Nur sonntags sieht sie ihr Haus und ihre Familie bei Tageslicht. Ob sie für die Unabhängigkeit ist, möchte ich wissen. Sie lächelt, als ob sie sagen möchte, daß nur ein Ausländer so eine dumme Frage stellen kann. Nein, sie ist von dem Homeland–System nicht begeistert und die angebliche Unabhängigkeit würde dieses System lediglich zementieren. Außerdem würde sie dann die südafrikanische Staatsbürgerschaft verlieren, was Arbeits– und Aufenthaltserlaubnis in Gefahr brächte. Während wir in seinem Büro in einem der weißen Vororte Johannesburgs sitzen, weiht uns Putco–Manager Duff in die neuesten Gerüchte über die Kooptionsanstrengungen des Apartheidregimes ein. Für ihn steht fest, daß das Putco–Busimperium, das sich rühmt, im Dienste der schwarzen Bevölkerung täglich eine Million Menschen zu befördern, innerhalb der nächsten sechs Monate aufgeteilt und verkauft werden wird. Putcos Kwandebele–Operation soll von der Homeland–Regierung übernommen werden. Neben der ökonomischen Aufwertung des Homelands verspricht man sich davon eine Reduzierung der Angriffe auf die blauen Busse mit dem roten Putco– Zeichen. In Spannungszeiten richtet sich der Zorn der Homeland–Bewohner zuallererst gegen diese Symbole der rassistischen Unterdrückung und Ausbeutung. Im August vorigen Jahres feierten die Bewohner ihren Sieg gegen die Marionettenregierung und das Apartheidsystem vier Tage lang. „Freiheit, Gleichheit - der Despot ist tot“ verkündeten Plakate . Die äußerst brutalen Exzesse der Homeland–Regenten hatten damals aus einer unpolitischen Stammesbevölkerung eine militante Oppositionsbewegung gemacht, die Bothas Apartheid– Pläne in Bedrängnis brachte. Doch die systematische Verfolgung der Unabhängigkeitsgegner unter dem auch in Kwandebele gültigen Ausnahmezustand hat offensichtlich Erfolg gehabt. Kwandebele ist das fünfte Homeland, das Südafrika in die „Unabhängigkeit“ entläßt.

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