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In die Abschiebung gedolmetscht

■ Unqualifizierte Sprachmittler entscheiden über das Schicksal abgelehnter Asylbewerber mit „ungeklärter Nationalität“ Von Silke Mertins

Sie sind meistens weder vereidigte Dolmetscher noch ethnologisch ausgebildet; fast alle von der Hamburger Ausländerbehörde engagierten Übersetzer haben nur eine Qualifikation: nämlich aus Afrika zu sein und eine oder mehrere afrikanische Sprachen zu sprechen. Trotzdem haben ihre Stellungnahmen ein großes Gewicht, wenn es darum geht, das „wahre“ Herkunftsland eines abgelehnten Asylbewerbers ohne gültige Ausweispapiere festzustellen, um seine Abschiebung zu veranlassen.

Überproportional groß sei ihr Einfluß, wie der aus Ghana stammende eingedeutschte Hamburger Anthony Rau Adebesereh findet. Über seine Rechtsanwältin Doris Weiss fordert er nun in einem Brief Ausländerbehörden-Chef Peter Dauer auf, ihm Auskunft darüber zu geben, was die Interviewer eigentlich zur Feststellung der Nationalität befähigt.

Betroffen von der ausländerbehördlichen Praxis sind all jene abgelehnten AsylbewerberInnen, die zum Beispiel aus den Bürgerkriegsgebieten Liberia und Sierra Leone kommen und nicht abgeschoben werden dürfen. Wenn sie aber nur ihre Haut retten konnten oder ihre Papiere auf der Flucht verloren haben – also ihre Herkunft nicht dokumentieren können –, werden sie in der Rubrik „ungeklärte Nationalität“ geführt. Dann prüft die Ausländerbehörde, ob es sich nicht doch vielleicht um einen Flüchtling aus Ghana oder Senegal handelt; Länder also, die als „Nicht-Verfolgerstaaten“ gelten und in die abgeschoben werden kann.

Um für freie Fahrt ins mutmaßliche Heimatland zu sorgen, wird eine „Befragung“ mit Hilfe von Dolmetschern durchgeführt. Aufgrund der mangelnden fachlich-ethnologischen Qualifikation „sind die Stellungnahmen der Gutachter mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren behaftet“, kritisiert Rechtsanwältin Weiss dieses Verfahren.

Nach Auskunft von Ausländerbehörden-Sprecher Norbert Smekal wird die Befragung durch einen Sachbearbeiter mit Hilfe eines Übersetzers durchgeführt. Ethnologische Kenntnisse sind bei beiden „bisher nicht“ gefordert, so Smekal. Man prüfe aber.

Das ist auch dringend nötig. Denn allein in Liberia werden mehrere Dutzend Sprachen gesprochen, viele davon grenzüberschreitend, da die kolonialen Staatsgrenzen mitten durch ethnische Gebiete verlaufen. Allein die Tatsache, daß sich ein Dolmetscher nicht mit einem Flüchtling verständigen kann, kann eigentlich nicht reichen, um die angegebene Herkunft des Flüchtlings in Zweifel zu ziehen.

An „der Sprachfärbung“ könne der Dolmetscher zuweilen erkennen, wo der Flüchtling wirklich herkommt, sagt Norbert Smekal. Aber: die starken Migrationsbewegungen im krisengeschüttelten Westafrika haben vieles durcheinander gewürfelt. Ethnologisch unqualifizierte Dolmetscher und Sachbearbeiter sind da mit der „Feststellung der nationalen Identität“ überfordert.

Klärungsbedarf zuhauf; eine Antwort auf die Anfrage von Anthony Rau Adebesereh an die Ausländerbehörde liegt allerdings noch nicht vor.

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