In der syrischen Ost-Ghouta: Ein Leben unter der Erde
Die Lage in Ost-Ghouta bleibt eine Katastrophe. Hinzu kommt die Angst vor syrischen Bodentruppen. Drei Menschen berichten.
30 Tage Waffenruhe beschloss der UN-Sicherheitsrat. Die russische Regierung stimmte zu, erwirkte aber nur fünf Stunden Feuerpause pro Tag bei der syrischen Regierung. Doch schon wenige Stunden nach dem offiziellen Beginn der Waffenruhe brachen neue Gefechte aus, wieder gab es Tote und Verletzte.
Was bringt den Zivilisten eine Feuerpause, die keine ist? Verbessern ein paar Stunden ohne Bomben das Leben im Kriegsgebiet etwas? Funktionieren die Flucht-Korridore? Informationen aus dem Kriegsgebiet zu bekommen, wird immer schwieriger. Per WhatsApp und Facebook schaffen es trotzdem drei Zivilisten, ihre Eindrücke mitzuteilen.
„Die Bombardierungen hören einfach nicht auf“, sagt Aws Mubarak, der für die syrische Nichtregierungsorganisation Local Development and Small Projects (LDSPS) in Ost-Ghouta arbeitet. Für ihn hat sich die Situation im Vergleich zur vergangenen Woche noch verschlimmert. „Manchmal fallen zwar zwei oder drei Stunden keine Bomben, aber es gibt da keine Regelmäßigkeit und keine spezifische Uhrzeit ohne Bombardierungen. Wenn wir uns jetzt kurz raustrauen, können jederzeit wieder Bomben fallen.“
Mangelhafte medizinische Versorgung
Deshalb versteckten sich die Menschen weiterhin in ihren Kellern, sagt Mohamad Abo Ahed, Chef eines der Gesundheitszentren in Kafar Batna in der Ost-Ghouta. Aus Angst vor dem Regime will er seinen richtigen Namen und den seiner Einrichtung nicht nennen. „Auch in den Stunden der eigentlichen Waffenruhe werden weiter Wohngebiete und Krankenhäuser gezielt bombardiert – wenn auch mit einer niedrigeren Frequenz als sonst.“ Morgens würden nun viele versuchen, etwas Brot aufzutreiben, um dann schnell in ihre Kellerlöcher zurückzukehren. „Wir führen ein Leben unter der Erde“, sagt der Arzt.
Es gebe weiterhin Verletzte und Tote und die medizinische Versorgung sei immer noch mangelhaft, so Abo Ahed: „Wir hatten aus Angst vor solchen Tagen Medikamente in Lagerhäusern aufbewahrt, aber in spätestens einem Monat wird alles aufgebraucht sein.“ Darüber hinaus seien die Fluchtkorridore genauso eine Farce wie die Waffenruhe.
Zu viele negative Erfahrungen mit Baschar al-Assad hat der Arzt schon gemacht. Zu viele Lügen hat er gehört. „Es gab hier immer nur einen Ausgang und dieser wird vom Regime kontrolliert“, erklärt er. „Jeder, der sich dem Checkpoint nähert, wird erschossen. Wie können wir jetzt dem Regime vertrauen, dass wir sicher aus Ost-Ghouta herausgelassen werden?“ Das Misstrauen sei zu hoch, die Zivilisten harrten lieber weiter in ihren Kellern aus.
Der erste Hilfskonvoi seit Beginn der syrischen Offensive in der Rebellenenklave Ost-Ghuta hat seine Mission vorzeitig beendet. Wegen anhaltenden Beschusses des Gebiets hätten die mehr als 40 Lastwagen nicht vollständig entladen werden können, sagte die Sprecherin des Internationalen Komitees des Roten Kreuzes am Montag. Nach neun Stunden Aufenthalt hätten sie sich wegen der unsicheren Lage am Abend zurückgezogen. Dem Team gehe es gut. Einer der Hilfskräfte sagte, zehn Lastwagen seien noch vollständig verschlossen, vier weitere hätten nur teilweise entladen werden können.
Der internationale Hilfskonvoi von UN und Rotem Kreuz hatte am Vormittag einen Kontrollpunkt der syrischen Armee passiert. Syrische Behörden hätten allerdings den größten Teil der medizinischen Güter des Hilfstransports zurückgehalten, sagte ein Vertreter der Weltgesundheitsorganisation WHO. Nach UN-Angaben hat die syrische Regierung zugestimmt, den Rest der Ladung in drei Tagen nach Ost-Ghuta zu lassen. (rtr)
„Wohin sollten wir auch gehen?“, fragt LDSPS-Aktivist Mubarak. „In der Provinz Idlib beispielsweise wird die Situation bald wie in der Ost-Ghouta sein und eine Flucht nach Europa ist viel zu teuer und gefährlich.“ Egal wo in Syrien, bedrohlich sei die Lebenssituation auch dort. Zu oft habe man gesehen oder gehört, wie das Regime Menschen einsperrte oder zum Militärdienst zwang, sobald sie in dessen Gebiete kamen. Auch das Ganze Hab und Gut zurück zulassen sei nicht einfach. Viele empfänden es als erniedrigend, Zuhause und Heimat den Rücken zu kehren. Die Bewohner der Ost-Ghouta hätten sich einfach mit ihrem Schicksal abgefunden, so Mubarak: „Die meisten hier haben sich aufgegeben und warten darauf, in ihrem Zuhause zu sterben.“
Angst vor dem Einmarsch der Armee
Auch Nivin Hotary, 39 und gelernte Sekretärin, sieht keine Chance für eine sichere Flucht. Sie lebt mit ihrer 6-jährigen Tochter Maya in der Ost-Ghouta. „Auch Maya will nicht fliehen, weil sie mit eigenen Augen gesehen hat, was dann passiert.“ Hotary erzählt, wie eine Nachbarin vor einiger Zeit versuchte, Besorgungen für ihre Kinder außerhalb der Ost-Ghouta zu machen und sofort verhaftet wurde. „Maya kennt die Kinder und sieht, wie allein sie jetzt sind. Sie hat Angst so zu enden, deshalb ist für sie das Thema nicht verhandelbar.“
Hotarys Tochter Maya lerne jetzt vor allem, was es heiße, den Entzug der grundlegendsten Menschenrechte am eigenen Leib zu erfahren. Denn die Situation in Ost-Ghouta würde stetig prekärer. „Das Essen wird immer knapper, wir leben weiterhin im Keller, es gibt hier immer noch kein Leben.“ Wie geht ein Kleinkind mit so etwas um? Maya ertrage das Ganze erstaunlich tapfer, sagt ihre Mutter: „Sie teilt mir ihre Ängste mit und spielt danach wieder mit ihren Puppen.“
Das unvorstellbare Leid in der Ost-Ghouta nimmt kein Ende. Am meisten fürchtete sich Nivin Hotary vor einem Einmarsch der syrischen Armee, die inzwischen begonnen hat. An eine echte Waffenruhe oder gar ein Ende der Bombardierungen glaube sie nicht. Und auch sonst niemand in der Ost-Ghouta. „Wir wissen, dass Bomben fallen, sobald es Bewegung auf der Straße gibt.“
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