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In der Blutbahn kreiseln

■ Wie es kam, dass sie Angst mit Stillstand verbanden: Goat Island aus Chicago über ihre Kampnagel-Performance It's an Earthquake In My Heart

Dass Autofahren Herzrasen verursachen kann, ist bekannt. Und der Name Chicago weckt automatisch Assoziationen an Blechlawinen, die sich durch Häuserschluchten schieben. Chicago ist der Wohnsitz der Performancegruppe Goat Island, die ab heute beim Laokoon-Festival auf Kampnagel gastiert. Ausgangsidee für deren Stück It's an Earthquake In My Heart war denn auch, sich vorzustellen, dass der Körper ein Auto sei, und das Bewegungsmuster einer Verfolgungsjagd mit Unfall nachzuspielen. Doch geht es um weit mehr als den Geschwindigkeitsrausch. Zum Beispiel darum, einen Tanz zu imitieren. Es geht um die Begegnung von Mensch und Technik, um Kindheitserinnerung und um Geschichtsverdrän-gung. Und um eine Hommage an die „Urmutter“ des Tanztheaters, Pina Bausch. Kollaborativ ist die Arbeitsweise der vier Performer und ihrer Direktorin Lin Hixson. Wir sprachen mit Matthew Goulish, dem Autor, und Mark Jeffery, dem Tänzer.

taz hamburg: In der Beschreibung des Stücks heißt es, Sie begannen mit der Betrachtung von Stillstand und entdeckten, wie es ist, zu sich selbst zu sagen: „Ich habe keine Angst.“ Können Sie diesen Prozess näher erläutern?

Matthew Goulish: Wir arbeiten etwa zwei Jahre lang an einem Stück. Anfangs ist da einzig die Neugier. Hier war es der Gegensatz von Bewegung und Stillstand. Und die Frage: Wie verhält sich die räumliche zur zeitlichen Bewegung? Man sitzt beispielsweise im Verkehrsstau fest, die Gedanken schweifen ab, man erinnert sich an etwas. Man bewegt sich nicht räumlich, aber zeitlich. Wenn der Verkehr wieder anfährt, bewegt man sich wieder räumlich und in der Gegenwart. Es ist die Beziehung von Gegenwart und Vergangenheit, die die Verbindung von Angst und Stillstand hervorrief.

Mark Jeffery: Die Idee, selbst ein Auto zu sein, birgt auch die Idee eines technologisierten Körpers. Und das ist mit Angst verbunden. Unsere Direktorin Lin Hixson stellte die Aufgabe, einen Kreisverkehr zu zeichnen. Das führte dazu, diesen mit dem Blutkreislauf in Beziehung zu setzen, die inneren Funktionen des Körpers nach außen zu transponieren.

Die Platzierung des Publikums definiert Ihren Aufführungsraum. Wie wird das in diesem Stück aussehen?

Jeffery: Wir spielen nie vor mehr als hundert Zuschauern. Es geht darum, eine Gemeinschaft aufzubauen. Hier sitzt das Publikum an vier Seiten der Spielfläche. Und da sich die Zuschauer gegenseitig beobachten, spielen sie quasi mit uns zusammen.

Sie sind Schauspieler, Tänzer, Bildhauer, Filmemacher. Wie bringen Sie die verschiedenen Ansätze in der Performance zusammen?

Jeffery: In diesem Prozess hört man nie auf, voneinander zu lernen. Matthew zum Beispiel kann schreiben. Das animiert uns andere, es auch zu versuchen, wenn man so will, von den Disziplinen der anderen zu „stehlen“.

Goulish: Das endgültige Stück vertritt nicht nur eine Sichtweise. Es hat deutlich verschiedene Standpunkte, die sich auch widersprechen können.

Handelt das Stück nur von Bewegung oder auch von Ihnen als Persönlichkeit?

Goulish: Eher von Standpunkten als von Persönlichkeiten. Dieses Stück hat drei Teile. Der erste und dritte Teil spielt in der Gegenwart, im zweiten geht es um Erinnerung. Dieser Teil setzt sich aus Tanzsequenzen zusammen, die wir Videos von Pina Bausch entnommen haben. Es geht um das Lernen und Imitieren.

Woher stammt der Name Goat Island?

Goulish: Es sollte ein spezifischer Ort auf der Landkarte sein. Der Name verbindet sich für mich mit Sturheit, Isolation, Wasser, Tier, zugleich mit Spaß und Ernst. – Aber etwas muss ich noch loswerden: Der dritte Teil des Stücks behandelt das Thema Bürgerkrieg. Und ich denke, zurzeit leben wir in Amerika in einer Vorphase von Bürgerkrieg.

Interview: Irmela Kästner

Aufführungen: 6.-8. September, 21 Uhr, Kampnagel (p1)

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