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Archiv-Artikel

bücher für randgruppen In den „Simpsons“ finden sich die ganzen USA wieder: Sind sie die „Bild“-Zeitung Amerikas?

Verwundert registrierte ich, wie Greenpeace einen Infostand vor dem kleinen, feinen Bioladen Kraut & Rüben am Kreuzberger Heinrichplatz aufbaute. Wie albern, diejenigen, die da einkaufen, sind doch eh schon überzeugt. Warum wirbt Greenpeace im Zuge der neuen Firmenstrategie nicht vor dem 99-Cent-Shop am Kotti? Oder eben bei Lidl, wo bis vor kurzem das Greenpeace-Magazin an der Kasse direkt neben Bild angeboten und von den Kassiererinnen nebst Transfair-Produkten im Akkord abgescannt wurde? Klaus Staeck warnte in der Frankfurter Rundschau, dass nicht Bild, sondern vor allem dessen Kooperationspartner Greenpeace in der Folge einen heftigen Glaubwürdigkeitsverlust erleiden würde. Egal, es geht ja um ein höheres Ziel. Erster Erfolg: Das Zentralorgan gegen ein Tempolimit auf deutschen Autobahnen wird seine Leser dazu aufrufen, die Heizung im Winter mal ein bisschen runterzudrehen. Seitdem die Bild-Leser zudem unter der Leitung von Sir Bono Afrika retten und kein Walfleisch mehr essen, sind wir dem Paradies gar nicht mehr so fern. Am Ende wäre Greenpeace seines Auftrags entledigt und könnte sich endlich auflösen.

Doch bevor es so weit ist, nehme ich einstweilen das neue Buch über die Simpsons in die Hand. Denn in dieser amerikanischen Durchschnittsfamilie scheinen sich die gesamten Widersprüche der Gesellschaft harmonisch zu vereinen. Angeblich soll ja alles, was in den USA passiert, auch hier eintreffen – mit kleiner Verspätung. Der dumpfe Papa Homer arbeitet im Atomkraftwerk, die kluge Tochter Lisa zieht naturfreundliche Energiegewinnungsmethoden vor. Vielleicht liegt die Wahrheit ja irgendwo dazwischen oder auch ganz woanders? Seitdem Alice Schwarzer nicht nur für Angela Merkel, sondern auch für die Bild-Zeitung mit dem Wort „Wahrheit“ Werbung macht, ist die Verwirrung komplett. Hat die „Frauen-Bild“-Ausgabe mit den für einen Tag entfernten Sexannoncen solch teuflische Wirkung entfaltet? Was tun, wenn demnächst Charlotte Roche, Sibel Kekilli oder Günter Wallraff für Bild wirbt? Egal.

Nebenwidersprüche sind megaout. Wie gesagt, es geht ausschließlich um die erfolgreiche Durchsetzung allerhöchster Ideale.

Erfolgreich durchgesetzt haben sich auf jeden Fall die Simpsons. Was für eine Philosophie steckt hinter dieser Familie? In elf Beiträgen machen sich diverse Autoren daran, deren weltanschauliche Essenzen aufzuspüren. Das ist amüsant und machte in den USA einen Besteller aus dem Buch. Jason Holt markiert Springfield als Ort der Heuchelei. James M. Wallace zeigt auf, dass die Simpsons in der Gesamtheit keinen durchgängig politischen Standpunkt vertreten, schon gar keinen subversiven. Im Grunde seien sie konservativ und nihilistisch. Wie der Kapitalismus machten sich die Simpsons jede Opposition zu eigen, nähmen jede Kritik in sich auf. Wallace hat wohl recht in seiner marxistischen Analyse. Würde es der klugen Lisa beispielsweise auffallen, dass die Frauen in den Telefonsexspots immer noch keine männliche Entsprechung gefunden haben? Wohl kaum. Kein Pimmel weit und breit zu sehen, kein Männerarsch, nur tote, ausgeschnittene Silhouetten, kein einziger penetrierter Mann, Wollust simulierend: „Ruf mich an, sofort!“ Etwas anders würde in einem solchen Fall der Simpsons triebhaftes, böses Gegenstück „South-Park“ vorgehen. Die fiesen Jungs würden glatt ihren Klassenlehrer dafür benutzen, mit Telefonsex Kohle zu verdienen. Er dürfte für die Jungs im Videoclip stöhnen: „Geile alte Männer machen dich an!“ Wenn schon Kapitalismus total, dann richtig. Bei den Simpsons werde das Lachen zum Opium für das Volk, konstatiert Wallace. Sie litten an einem Mangel an Visionen und seien gleichzeitig amüsant. Irgendwie dabei, mitten im Mainstream und doch trotzdem ein bisschen anders. Auch hier scheint sich bereits alles auf die Welt der Simpsons hinzubewegen: Medien, die Politik und die Kultur. Rette sich, wer kann: Springfield ist überall! WOLFGANG MÜLLER

William Irwin, Mark T. Conrad und Aeon j. Skoble (Hg.): „Die Simpsons und die Philosophie“. 256 Seiten, Tropen Verlag Berlin, 19,80 Euro