nicht verpassen! : In Schichten
„Berlin – Ecke Volksbühne“, 20.40 Uhr, Arte
Am Anfang dieses erstaunlichen Dokumentarfilms über einen kleinen Platz in der Mitte von Berlin sitzen zwei junge Menschen in ihrer Küche und erzählen, wie sie eine Tapete nach der anderen von der Wand lösen. Zuerst blass erscheint ein Davidstern, schließlich sind es viele. Das Bild ihres graffiti-bunten Wohnhauses verschwimmt ins Schwarz-Weiße, hebräische Schriftzeichen tauchen über der Tür auf, bärtige schwarz gekleidete Männer davor. Hier befand sich einmal eine Talmud-Schule; sie war längst vergessen. So wie diese beiden die Tapete von den Wänden reißen, legt Regisseurin Britta Wauer, Fernseh- und Grimme-Preisträgerin, Schicht um Schicht behutsam die Geschichte des Rosa-Luxemburg-Platzes frei. Bewegte Bilder verschwimmen in stille, bunte in graue, Fotografien in Zeichnungen und Musik in Erzählungen und Straßengeräusche. Der Film wird getragen von seiner gekonnten Kino-Kamera und von den Protagonisten. Jürgen Loewenstein zum Beispiel, der heute im Kibbutz lebt und hier Jugend und Familie verlor; Dora Zimmermann, deren Vater von Erich Mielke erschossen wurde; oder Horst Gillert, der sich mit der Pfeife in der Hand durch DDR-Exzentrik und privates Glück schnoddert. Jede neu freigelegte Zeit zeigt Geschichte im Kleinen: Kaiserzeit, Aufstieg und Fall der Nazis, DDR und Wende. Eine leise Liebeserklärung an einen Platz voller vergessener Geschichten, mit fantastischer Musik von Arne Eickenberg. SEBASTIAN ESSER