■ In Mexikos Süden stehen die Zeichen auf Sturm – die Guerilla anerkennt die dubiose Wahl nicht und droht mit Krieg: „Wir sind euer Gegenstück“
Sollte nicht in allerletzter Minute noch ein mittleres Wunder geschehen, dann ist es ab heute wohl vorbei mit der ohnehin erstaunlichen Feuerpause in Mexiko. Elf Monate lang hatte man auf einen „mexikanischen Sonderweg“ gehofft und Illusionen in Verhandlungskommissionen und Friedensgesprächen gehegt. Nun ist man wieder am Beginn angelangt. Unversöhnlich wie am Jahresanfang steht der radikale Diskurs der Zapatisten-Guerilla jetzt wieder den regierungsamtlichen Ausweichmanövern gegenüber. Diesmal, so scheint es, ohne den Puffer der vielzitierten Zivilgesellschaft.
Denn es ist unter anderem auch das Versagen der zivilen Linken von der Nationalen Demokratischen Konvention, das die eingekesselten Zapatisten mit an die Wand gedrängt hat: Auch nach dem Frust über die Wahlschlappe am 21. August hat sie es nicht geschafft, dem militärischen „Kampf um die Würde“ eigene Vorschläge und Diskurse entgegenzusetzen, und sie hat sich vom Aufstand der Zapatisten nicht inspirieren lassen, eine neue politische Kultur und Praxis zu begründen.
Die Verzweiflung der Guerilleros ist verständlich, ihre Ungeduld nachvollziehbar. Bis auf Papierberge und ein paar zusätzliche Stromleitungen hat sich in diesem Jahr an dem ganzen Elend der indianischen Bevölkerung, an ihrer Recht- und Würdelosigkeit nichts geändert. Auch in Sachen Demokratie hat sich bekanntlich wenig getan. Ganz im Gegenteil. Die Aufbruchstimmung der ersten Monate ist dahin. Mexikos politische Klasse hat zwar an Glaubwürdigkeit weithin verloren, die Risse in den traditionellen Stützen des Regimes sind breiter geworden, doch es gibt kaum eine Opposition, die die Gunst der Stunde zu nutzen wüßte.
Natürlich spricht die unverhohlene Drohung der zapatistischen Guerilla – Rücktritt des PRI-Gouverneurs oder Krieg – für ein nach formalen Kriterien merkwürdiges Demokratieverständnis. Unabhängige Wahlbeobachter waren zu dem Schluß gekommen, ein Wahlgewinner könne nicht ermittelt werden und die Stimmabgabe solle deshalb wiederholt werden. Auch die Rückkehr zu den bekannten Maximalforderungen wie dem Rücktritt des Präsidenten zeugt nicht gerade von der politischen Phantasie, die man bei den Aufständischen aus dem Lakandonen-Dschungel sonst so geschätzt hatte. Als rein taktisches Erpressungsmanöver läßt sich die Quasi-Kriegserklärung vom Dienstag aber keinesfalls interpretieren. Sie meinen es ernst mit ihrem „kein Zurück“ und sind bereit zu sterben, um es zu beweisen.
Dem Dinosaurier PRI (Partei der Institutionalisierten Revolution), der das Land seit 70 Jahren regiert, halten die Guerilleros entgegen: „Wir sind euer Gegenstück. Ihr müßt verschwinden, damit wir verschwinden können.“ Da steckt viel Wahrheit drin. Für die mexikanische Opposition aber gilt es zunächst vor allem zu verhindern, daß die zapatistische Bewegung in einem Massaker oder Selbstmordkommando endet. Wird es die neue mexikanische Regierung auf die militärische Konfrontation ankommen lassen? Die Bitte der Zapatistas „Laßt uns nicht allein“ ist aktueller denn je zuvor.
Anne Huffschmid, z.Zt. in Chiapas
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