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In Lübeck bleiben viele Fragen

Verdächtigter Libanese bestreitet weiter, den Brand gelegt zu haben. Bürgermeister versucht, für Überlebende Wohnungen zu organisieren  ■ Aus Lübeck Jan Feddersen

Sawran E. bleibt in Untersuchungshaft. Der 21jährige Libanese wird nach wie vor von den Lübecker Ermittlungsbehörden verdächtigt, den Brand in der Asylbewerberunterkunft gelegt zu haben, bei dem in der vorigen Woche 10 Menschen getötet und 43 teilweise schwer verletzt wurden. Bei einer erneuten Vernehmung wiederholte der Sanitätsfeuerwehrmann, dessen Aussage die Verhaftung herbeigeführt hatte, Sawran E. habe bereits in der Brandnacht gestanden. Der Verdächtigte bestritt dies erneut. Sein Rechtsanwalt Hans-Jürgen Wolter verwies gestern auf die Unstimmigkeiten in den Anschuldigungen der Behörden: Absurderweise sei sein Mandant nach der angeblichen Brandstiftung schlafend im Bett gefunden worden – Anwohner mußten ihn nachweislich nach dem Feueralarm wecken. Auch das Indiz für eine Brandstiftung von innen, daß das Haus von innen verschlossen gewesen sei, sei nicht stichhaltig: Schon seit Wochen habe ein eingeschlagenes Fenster im Parterre offengestanden.

Am Sonntag früh war der Libanese festgenommen worden, nachdem sich ein Sanitätsfeuerwehrmann gemeldet hatte, der erzählte, Sawran E. habe ihm in der Brandnacht gesagt: „Wir waren es.“ Die Ermittler erklärten anschließend, der Festgenommene verfüge über „Täterwissen“: Er habe bereits vor dem Ende der Spurensuche, die erst gestern abgeschlossen wurde, gewußt, wo das Feuer seinen Ausgang nahm. Im dunkeln blieb gestern auch das mögliche Motiv des Verdächtigen. Laut Polizei habe es unter den Bewohnern des abgebrannten Hauses Streit gegeben. Um welche Art von Zwistigkeiten es sich dabei gedreht haben soll, ließen die Ermittler offen.

Die Überlebenden des Brandes wissen allerdings von Streitigkeiten nichts. Unisono sagen die schwarzafrikanischen Bewohner an der Neuen Hafenstraße, daß „alles friedlich war“. Claude Makudila, der bei dem Feuer mehrere Angehörige verlor, sagte während der stillen Trauerstunden im Asylbewerberheim an der Rabenstraße, daß er sich an gravierende Konflikte nicht erinnere: „Wir haben uns immer gut verstanden.“

Iver Rinsche, im Diakonischen Werk Lübeck für die Betreuung von Asylbewerbern zuständig, befragte gestern erneut seine Mitarbeiter. „Die haben mir versichert, daß es nur die üblichen Reibereien gab – mal hatte der eine sein Radio zu laut laufen, mal der andere das Klo wieder unreinlich zurückgelassen, ein dritter hatte eventuell eine andere Vorstellung von Küchenordnung. Mehr nicht.“

Unterdessen geht die Suche nach einer Lösung für die Überlebenden weiter. Heute vormittag will sich die Lübecker Administration unter Leitung von Bürgermeister Michael Bouteiller mit den Trägern der Asylbewerberarbeit treffen, um die hastigen Absichtserklärungen nach dem Brand in Taten umzusetzen. Bouteiller hatte den Opfern versichert, für sie Wohnungen zu organisieren. Rinsche wird den Bürgermeister an sein Versprechen erinnern: „Meiner Meinung nach sollten die Betroffenen zusammenbleiben.“

Wenn Bouteiller zu seinem Wort steht, begibt er sich auf Kollisionskurs mit den Gesetzen. Abgelehnte Asylbewerber dürfen nicht in reguläre (Sozial-)Wohnungen ziehen. Die Hälfte der 350 in Lübeck lebenden Asylbewerber hat das Asylverfahren nicht bestanden: Ihre Anträge sind abgelehnt worden, sie werden nur noch geduldet – das gilt auch für etliche der Brandopfer. Das Wohnungsproblem drängt auch aus einem anderen Grund: Die Gesundheitsverwaltung der Stadt möchte die wieder gesundeten oder zumindest medizinisch geheilten Überlebenden unbedingt aus den Krankenhäusern entlassen sehen – zu teuer sei dort deren Aufenthalt, heißt es.

Mehr als 120.000 Mark sind bislang für die Hinterbliebenen und deren Angehörige gespendet worden. Diakonieleiter Rinsche will dafür unter anderem Kleidung kaufen: „Und komme mir keiner mit der Idee, sie aus Secondhandware zu versorgen. Die haben neue, gute Sachen verdient.“

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