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In Japan gibt es mehr als Bonsai und Canban

■ Sündenbock der internationalen Handelskrieger: Japan / Hintergründe und soziale Konflikte der japanischen Exportorientierung bleiben weitgehend ausgeblendet

Als Wirtschaftsmacht ist Japan auf den westlichen Märkten, in unserem Konsum, und damit auch in unserem Bewußtsein präsent. Die Bemühungen um eine differenzierte Beurteilung sind außerhalb der japanologischen Fachwelt aber immer noch selten. Hierzu würde als ein erster wichtiger Schritt gehören, kritische Japaner und Japanerinnen selbst zu Wort kommen zu lassen. Dr. Wolfgang Seifert, Japanologe am Ostasiatischen Institut der Freien Universität Berlin, wählte für die taz–Wirtschaftsredaktion eine der wenigen außerhalb der Expertenkreise verbreiteten Hintergrund–Darstellungen aus, um sie unseren Lesern - auch zur weiteren Eigenarbeit - vorzustellen. Mit ihrem neuesten Heft hat die in Berlin herausgegebene sozialwissenschaftliche Zeitschrift PROKLA den Versuch gemacht, angesichts des sich verschärfenden Handelskonflikts zwischen Japan und den USA und auch der EG Binnenansichten der japanischen Entwicklung zu veröffentlichen. Damit stellt sie japanische Positionen einem breiteren Publikum vor und trägt so zu einem differenzierten Bild bei. M. Nomura kennzeichnet in seinem Artikel die japanische Arbeitsgesellschaft als „produktionistisch“, d.h. in Politik und Wertvorstellungen auf industrielle Produktion orientiert. Dies trifft natürlich auch auf andere westliche wie östliche Industrieländer zu, doch ist Japan seiner Meinung nach in diesem Feld absolute Spitze. Innerhalb der japanischen Gesellschaft sieht er keine relevante gesellschaftliche Kraft oder politische Bewegung, die den „Produktionismus“ ernstlich erschüttern könne. Die stabilen industriellen Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit könnten allenfalls durch den Druck des Auslands auf den japanischen Handelsbilanzüberschuß verändert werden, aber nicht durch die Kraft der Arbeiterbewegung, denn diese sei selbst „produktionistisch“ orientiert. Doppelt in der Klemme Nomura interpretiert nun die gegenwärtigen Spannungen in der Weltwirtschaft wie folgt: Japan hat sich nicht in die internationale Arbeitsteilung eingefügt, sondern seine spezifische Exportstruktur und Exportorientierung beibehalten. Folge seines „Produktionismus“ ist der lange schon schwelende Handelskrieg. Die massive Kritik des Auslands setzte daran an, daß der japanische Markt geschlossen sei, und in Japan „Sozialdumping“ herrsche (zu niedrige Sozialleistungen etc.). Halbherzig hatte die japanische Regierung eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet, aber erst die Aufwertung des Yen erzwingt nun eine Wende: seit 1980 verlagert sich der Schwerpunkt der japanischen Direktinvestitionen von den Entwicklungsländern in die Industrieländer. Um die mühsam erkämpften Marktanteile im Ausland zu halten, bleiben den japanischen Unternehmen drei Möglichkeiten: 1. Rationalisierungen mit dem Ziel der Kostensenkung und niedriger Preise - eine weitere einseitige Exportoffensive Japans werden die westlichen Industrielän der jedoch nicht zulassen; 2. mehr Zulieferprodukte aus Übersee zu beziehen (hier kämen besonders die asiatischen Schwellenländer in Frage), was die abhängigen einheimischen Zulieferer in eine Krise stürzen würde und 3. Direktinvestitionen in den westlichen Industrieländern, Errichtung von Produktionsstätten dort. Nur dieser letzte Weg kann letztlich die welthandelspolitisch entscheidenden Konkurrenten USA und EG zufriedenstellen. Welche Folgen hätte dies aber für den „Produktionismus“ in Japan selbst? - Das Volumen der betreffenden Exporte aus Japan könnte nicht beibehalten werden (trotz geringer Absatzsteigerungen); die Beschäftigung im Inland würde sich verringern; das Zuliefersystem würde in die Krise kommen (höchstens große Zulieferfirmen könnten ihrerseits in den USA z.B. zu produzieren anfangen, die mittleren und kleinen würden bankrott gehen); die Arbeitsideologie würde brüchig werden. Der absehbare Bankrott vieler Zulieferfirmen, in denen Mitglieder von Bauernfamilien arbeiten, würde deren Einkommenssituation verschlechtern und damit dieses Wählerreservoir der konservativen Regierungspartei abspenstig machen. Gegen weitere Subventionen für Bauern sperrt sich die Stadtbevölkerung. Wegen zunehmender Entlassungen - bislang tunlichst vermieden - würde aber insbesondere die Betriebsbindung der Beschäftigten aufgelöst werden. Vor derart weitreichenden Konsequenzen hat die japanische Regierung Angst. Daher lotet sie die Chancen der Umwandlung in eine binnenmarktorientierte Wirtschaft aus. Chancen für die Linke? Hier zeichnet der Autor ein tief pessimistisches Bild. Lösungskonzepte findet er weder bei den sicherlich aktiver werdenden Minderheitsgewerkschaften in den Großbetrieben noch in den aus Konkursen hervorgehenden Übernahmen von Klein– und Mittelbetrieben durch Arbeiter noch in den Betriebsgewerkschaften im Öffentlichen Dienst, die häufig linksorientiert sind - ganz zu schweigen von der gespaltenen parteipolitischen Linken. Ihm zufolge wird die Schwäche noch schlimmer, weil in Japan eine etablierte sozialdemokratische Partei fehlt. Warum der Neokonservativismus in Japan unter Nakasone mehr als der in England, den USA und der BRD Gehorsam der „Untertanen“ gegenüber und Identifikation mit dem Staat fordert, legt T. Kato in seinem Artikel „Neoetatismus im heutigen Japan“ dar. Er bezeichnet den japanischen Staat in der Periode hohen Wirtschaftswachstums als „Unternehmer– Staat“ (bis etwa 1975) und unterscheidet ihn damit vom „warfare– welfare–state“ (USA) und vom europäischen Wohlfahrtsstaat. Staatliche Interventionen dienten der Kapitalakkumulation der Mammutunternehmen. Deren Aktivitäten galten dem nationalen Ziel des „den Westen einholen und überholen“ und fanden so auch die Unterstützung der Bevölkerung. In der nachfolgenden Periode bis heute, versucht nun eine Gruppe einflußreicher Politiker um Nakasone, den „eingegrenz ten, aber gleichwohl starken Staat“ zu verwirklichen. Es wird nicht allein konservative Wirtschaftspolitik betrieben, mit Privatisierung staatlicher Unternehmen, Kürzung der ohnehin geringen Sozialausgaben und gleichzeitig Abwälzung sozialer Leistungen auf die Bevölkerung unter dem Motto „gegenseitige Hilfe“. Hinzu treten Bemühungen, ein neues nationales Bewußtsein zu verankern. Kato: „So paradox es klingen mag: In dem Auftreten des japanischen Neokonservativismus als Neoetatismus kommt die Unzufriedenheit der Herrschenden mit dem gesellschaftlich konservativen Bewußtsein und dem ökonomistischen Nationalismus der Massen zum Ausdruck.“ Die Sorgen dieser Konservativen: Die Bevölkerung sei zwar einstweilen mit ihrer Lage noch zufrieden, beginne aber an ihrer Rolle als Arbeitsbienen zu zweifeln und verspüre wenig Lust zur Verteidigung des Staates. Erziehungs“reform“ Wenn der Westen ökonomisch überholt ist - was muß dann der Staat als nächstes nationales Ziel definieren? Kato bezweifelt, daß es der äußersten Rechten gelingt, ihr Ziel der militärischen Großmacht zu realisieren. Wahrscheinlicher ist, daß mittels einer „Reform“ des Erziehungswesens der Einfluß des Staates auf den Einzelnen verstärkt wird, und die Instrumente eines „präventiven Krisenmanagements“ mit gemeinsamen Gremien von Staatsbürokratie, Kapital und Arbeit ausgebaut werden. Was tut sich angesichts dieser keineswegs widerspruchsfreien Bestrebungen seitens der die japanische Gesellschaft beherrschenden Gruppen - man denke nur an auch dort vorhandene Kritik an den Aufrüstungsplänen - auf der Seite der Opposition? Einen Aspekt, nämlich die wissenschaftliche Kritik im Rahmen des Marxismus, nimmt S. Furihata unter die Lupe. Nach 1945 erlangte in Japan, im Gegensatz zur BRD, die marxistisch orientierte Wirtschaftswissenschaft einen enormen Einfluß, etablierte sich fest im akademischen Bereich und brachte einige originelle Analysen hervor. In Furihatas Artikel wird jedoch klar festgestellt, daß sich die zahlreichen Voraussagen der Marxisten hinsichtlich der Krisenanfälligkeit der japanischen Wirtschaft (Tendenz: baldiger Untergang) als falsch erwiesen haben. Für den Stillstand der sozialistischen Kräfte heute macht der Autor, der selbst zur unorthodoxen „Uno–Schule“ zählt, auch und gerade diese Wissenschaftler verantwortlich. Um die theoretische Stagnation zu überwinden, plädiert er indirekt für eine Verbindung der marxistischen Wirtschaftswissenschaft mit Ansätzen aus der Kulturanthropologie, Ökologie, Systemkomparatistik. Es zeichnet sich ab, daß wir mit Japanern in einen Dialog statt in einen höflich kaschierten Schlagabtausch treten können. Wenn bloß noch der Lay–outer für dieses Sonderheft die Schriftzeichen für „Japan“ richtig geschrieben hätte... „PROKLA“ Heft 66 / 1987: Japan - Grenzen eines Wunders. Rotbuch Verlag Berlin, 16 Mark.

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