piwik no script img

In Geschmacksgeheimdiensten

■ Zwischen zerknitterten Martinis: Die Combo „Agentenmusik“ servierte die Singlehits im Tower gleich mehrfach variiert

Mein Name ist Blank, Tommy Blank. Ich bin Agent im Auftrag der guten Musik. Man könnte sagen, daß ich mich darum kümmere, daß die bösen Bands wieder in der Versenkung verschwinden. Das Schattenkabinett hat mich auf Bremen angesetzt. Eine Stadt, von der man vermuten würde, daß es hier nur eine ruhige Kugel zu schieben gilt. Gelegentlich mal einen verschlüsselten Szene-Report ans Hauptquartier mailen und sich ansonsten dem Martini und den Damen der Gesellschaft hingeben. Aber weit gefehlt!

Kürzlich spielte die „Agentenmusik“ im „Tower“, einem Beatschuppen in der Bahnhofsgegend mit vielen verschwiegenen Nischen. Ich war dort mit einem Kontaktmann verabredet, mußte aber lange warten. Vier junge Männer in schlecht sitzenden Anzügen spielten Keyboards, Gitarre, Baß und Schlagzeug. Der Gesang war spärlich, hier ein „hey“ und da ein „yeah, let's go“. Soundtracks zu imaginären Filmen wurden dargeboten. Die Songs trugen Titel wie „Die Fratze des Todes“, „CafeUrsula“, „In den Händen des Ketzers“ oder „An der Rezeption“. Und die einzige Coverversion im Programm ist das „Schirm, Charme und Melone“-Thema.

„Agentenmusik“ machen es sich nicht ganz leicht. Einzelne Mitglieder der Formation hatten sich bereits in anderen Bands zu den Klängen der 60er bekannt und lieferten den Soundtrack zu ihrer Geisteswelt. Selbsterklärend der Bandname, ironisch die Darbietung, „Avalanche“, eine Unterabteilung des „Swamp Room Secret Service“, schlug sofort zu und presste zehn Songs in Vinyl.

CDs verschimmeln nach zehn Jahren und taugen nur als Übergangsmedium einer Zeit, die sich aus den Vorstellungen vergangener Jahrzehnte zusammensetzt. „Agentenmusik“ interpretieren gleich ein ganzes Genre, das sie für sich selbst definiert haben. Die Herren Becker, König, Vick und Wolfinger haben sich damit wohl einen Jugendtraum erfüllt. Ihre Darbietung wurde mit einem Projektor überblendet, der von einer jungen Frau mit einem Arsenal genretypischer Bilder und bunt gerührter Flüssigkeiten bedient wurde. Der Zugabenteil wurde damit beendet, daß das letzte Stück, gleich dreimal intoniert wurde, wobei der Song jedes mal schneller gespielt wurde.

Diese Praxis wirft die Frage auf, ob Bands demnächst nicht gleich nichts anderes als ihren Single-Hit in verschiedenen Versionen zum besten geben sollten. Die Leute würden dann wahrscheinlich tanzen bis zum Umfallen. Aber dafür war an diesem Abend später noch ein unrasierter DJ zuständig.

Mein Kontaktmann, ein Bursche namens Voss, gab sich jedenfalls nicht zu erkennen. Ich steuerte den alten Ford Capri Bar vom Parkplatz und leerte meinen toten Briefkasten. Im Spätprogramm gab es dafür „Fantomas bedroht die Welt“, und der Abend war gelaufen. Ach, die wilde Zeit der letzten Martinis auf der Flucht in den Wirren dieser Welt. Tommy Blank

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen