: „In Frankreich gibt es das“
Sind anonyme Geburten ein Ausweg für Schwangere in Not? Gerhard Hohloch, Freiburger Professor für Zivilrecht, über die Hürden für eine Regelung in Deutschland
taz: Herr Hohloch, Sie waren jüngst als Sachverständiger bei einer Anhörung des Bundestags zum Thema „anonyme Geburten“. Wie unterscheiden sich solche Geburten eigentlich von einer Babyklappe?
Gerhard Hohloch: Bei einer so genannten „Babyklappe“ kann die Frau ihr Kind nach der Geburt anonym in fremde Obhut geben. Besser wäre es aber, wenn schon bei der Niederkunft eine medizinische Betreuung für Mutter und Kind sichergestellt wäre. Hier setzt die Idee einer anonymen Geburt an. Die Schwangere soll im Krankenhaus gebären, ohne dass sie Angaben zu ihrer Person machen muss.
Könnte ein Krankenhaus ohne weiteres die Möglichkeit anonymer Geburten einführen?
Nein, dem steht derzeit das Personenstandsgesetz entgegen. Danach ist eine Geburt binnen einer Woche den Behörden mitzuteilen, wobei auch umfassende Angaben zu den Eltern zu machen sind.
Spricht etwas dagegen, das Gesetz so zu ändern, dass anonyme Geburten in Ausnahmefällen doch möglich sind?
Völlig anonyme Geburten dürften nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Denn jeder Mensch hat ein „Recht auf Kenntnis seiner Abstammung“, wie das Bundesverfassungsgericht in den letzten Jahren wiederholt festgestellt hat.
In diesen Fällen ging es eher um die Frage, ob eine Mutter gegenüber ihrem Kind den Namen des Vaters verschweigen darf. Bei der anonymen Geburt soll aber die Mutter selbst unbekannt bleiben, weil man hofft, so Leben retten zu können.
Diesen Unterschied sehe ich auch. Wenn es um den Schutz des Lebens geht, kann das Recht auf Kenntnis der eigenen Abstammmung nicht absolut gelten. Hier muss es Kompromisse geben.
Wie könnte so ein Kompromiss aussehen?
Die Angaben der Mutter könnten vertraulich behandelt werden, würden aber dem Kind – bei Interesse – zu einem geeigneten Zeitpunkt mitgeteilt. Zulässig wäre sicher auch der Vorschlag der CDU/CSU, die Meldefrist für eine Geburt auf zehn Wochen zu verlängern. In dieser Zeit könnte eine Beratungsstelle mit der Frau überlegen, ob sie das Kind behalten oder zur Adoption freigeben möchte.
Mit wie vielen anonymen Geburten wäre pro Jahr etwa zu rechnen?
In Frankreich gibt es die Möglichkeit zu anonymen Geburten schon sehr lange. Dort kommen landesweit einige hundert Kinder pro Jahr auf diese Art zur Welt, wobei die Zahl der völlig anonymen Geburten in den letzten Jahren zurückgegangen ist.
Warum?
Viele Kinder, die anonym geboren wurden, protestieren heute gegen die Regelung, weil sie nichts über ihre Eltern erfahren können. Deshalb werden Frauen, die anonym gebären wollen, in Frankreich jetzt aufgefordert, einige Informationen über sich zu hinterlegen.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH
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