: In Boxberg geht der Streit nun erst richtig los
■ Die Boxberger Bundschuhbauern haben gegen den großen „Stern“ Recht bekommen / Die Mehrheit in der Region hat nun Angst vor der Zukunft und droht mit Rache / Die Landesregierung denkt über ein Sondergesetz „Lex Boxberg“ nach
Aus Boxberg Dietrich Willier
Morddrohungen soll es in den vergangenen Jahren in den Boxberger Gemeinden schon öfter gegeben haben. Von Befürwortern der geplanten Daimler–Teststrecke wie von Gegnern. Der Bundestagsabgeordnete der Grünen Dora Flinner war ein Brandsatz unters Wohnhaus gelegt worden, Boxbergs Bürgermeister Zipperle soll mit Frau vor den Sensen der Bundschuhbauern ins benachbarte Assamstadt geflohen sein. Die Bundschuhbauern solle man aufhängen und totschlagen, hieß es spätabends in Dorfkneipen, und jetzt, wo die Teststrecke nicht gebaut werden darf, erst recht. Die vorerst letzte Morddrohung, nach dem Urteil, erhielt Horst Oellers, der Geschäftsführer der Bundschuhgenossenschaft. Schon lange gibt es in den Boxberger Teilgemeinden Kneipen, Bäcker, Metzger und Krämer für Befürworter der Teststrecke und solche für Gegner. Nachbarn können nicht mehr miteinander reden, Freundschaften sind zu Feindschaften geworden, Familien haben sich entzweit. Wie anders, wenn der Bruder der Hedwig Hoffmann Polizist in Boxberg ist und sie als Aussiedlerbäuerin Mitglied im Bundschuh. Am Dienstag, zwei Stunden nach der Urteilsverkündung, sind die Straßen der Boxberger Gemeinden noch leerer als sonst. Nur Polizeistreifen sind heute häufiger unterwegs. Die nicht bei Daimler in Stuttgart oder einem Zulieferbetrieb arbeiten oder zur Urteilsverkündung nach Karlsruhe gefahren sind, scheinen sich in ihren Häusern verbarrikadiert zu haben. Auf die Frage nach der Zukunft, in einer kleinen Landmaschinenreparaturwerkstatt, heißt es drohend: Kein Kommentar, hau ab! Der Nachbar gegenüber hat eine Ford–Werkstatt; früher, als Gemeinderat, sei er auch für den Bau der Teststrecke gewesen, aber fürs Geschäft wäre sie vielleicht doch nicht so gut gewesen. Draußen, auf dem freien Feld zwischen Windischbuch und Bobstadt, liegen die Aussiedlerhöfe der Bundschuhfamilien Hoffmann und Hahn. Hätte die Teststrecke gebaut werden können, sie wären von riesigen Betonpisten eingeschlossen gewesen, mit ei nem Tunnel zur Außenwelt. Im Regen klatscht an einem hohen Mast die weiße Fahne mit dem Symbol der Bauernkriege, dem Bundschuh. Erst beim zweiten Läuten wird vorsichtig die Haus tür geöffnet. Zwei Frauen und ein paar Kinder sind nicht mit nach Karlsruhe gefahren. Froh sei man schon über das Urteil, aber Angst habe man auch: Jetzt geht der Streit zwischen Befürwortern und Gegnern der Teststrecke in der Gemeinde ja erst richtig los, meint die ältere der Frauen, aber schließlich haben wir ja schon fast zehn Jahre gekämpft. Daß Ruhe und Frieden in den Gemeinden bleibt, das liegt, trotz wütender Enttäuschung, dem Bürgermeister Zipperle und seinem Kollegen aus Assamstadt schon am Herzen. Doch daß die aufsässigen Bundschuhbauern jetzt davon reden, „um Leib und Leben bangen“ zu müssen, em pört ihn. „Wenn die jetzt in Angst leben“, so der Schultes aus Assamstadt, „ist das für mich fast eine Genugtuung“. Horst Oellers, seit Beginn an der Spitze des Boxberger Wider stands, sieht den kommenden Wochen gelassen entgegen: „Wir haben neun Jahre lang, obwohl wir im Recht waren, juristische Niederlagen einstecken müssen und Demokratie dabei gelernt. Unseren Gegnern wird es nicht schaden, auch wenn es schwerfällt, das jetzt auch zu lernen.“ Daß Demokratie mehr bedeuten kann als nur die Durchsetzung der Mehrheit gegen eine Minderheit, scheint der Boxberger Mehrheit noch nicht ganz geläufig. Eine sofortige „Lex Boxberg“, um die Daimler–Teststrecke doch bald ansiedeln zu können, fordern die Zurückhaltenden nebst ihrem Bürgermeister von der baden– württembergischen Landesregierung. Es möge ja kein Bundschuhmitglied mehr ihre Wege kreuzen, drohen die Aufgebrachten und Militanten. Die Landesregierung, seit Jahren selbst in Pro– Daimler–Parteilichkeit verstrickt, hat die rasche Prüfung eines „Lex Boxberg“ bereits angekündigt. Der Rüstungskonzern Daimler–Benz will neue Standorte im In– und Ausland suchen. Siegfried de Witt, Freiburger Anwalt der Boxberger Widerständler, glaubt nicht an eine „Lex Boxberg“, ein solches Landesgesetz müsse ebenso am Spruch der Verfassungsrichter orientiert sein, und das sei kaum zu schaffen. Am Dienstagabend ist das Urteil einziges Kneipengespräch. Die Widerständler treffen sich im „Deutschen Kaiser“ von Wölchingen. Alte, junge, Jusos, Christen, Grüne und die örtlich Rockergruppe „bad company“, die sich bei der erfolglosen Verteidigung des Assamstädter Forsts einen Namen machte: Im Arm die Cognacflasche - „darf ich frei reden - wir waren die, die die ... schlugen und bei den Bundschuhfesten immer als Letzte gingen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen