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In Albanien ist das erste Oppositionsblatt erschienen

Wer geglaubt hatte, Ismail Kadare, der große alte Mann der albanischen Literatur, oder ein anderer bisher verfolgter Dissident hätte ein Leitwort oder einen spannenden Essay geschrieben — der irrt. In der ersten legalen oppositionellen Wochenschrift Albaniens findet sich nichts, was nach Provokation riechen könnte. Schon rein äußerlich unterscheidet sich die 'Rilindija demokratike‘, zu deutsch 'Demokratische Wiedergeburt‘ kaum von den langweiligen KP-Blättern. Nur der Titelkopf ist anders gestaltet: Das noch immer obligatorische „Proletarier aller Länder vereinigt Euch“, fehlt immerhin. Aber ganz in bolschewistischer Manier legt man Wert darauf zu betonen, daß es sich um ein Parteiorgan handelt und ausdrücklich die Meinung der neuen „Demokratischen Partei“ vertritt.

In der ersten Nummer, deren 50.000 Exemplaren am Samstag in Windeseile vergriffen waren, werden die sechs Seiten vor allem vom Parteistatut und einem langen Forderungskatalog an die kommunistisch beherrschte Volkskammer gefüllt. Das Statut ist sehr allgemein gehalten und unterscheidet es sich nicht entscheidend von den Bekundungen der Reformer innerhalb der KP, die der Partei ja ebenfalls ein sozialdemokratisches Programm verpassen wollen. Die Sprache der Demokratieforderungen ist dafür aber überaus deutlich: An erster Stelle steht die Verschiebung des Wahltermins, da es sonst für die Opposition keine gleichen Startchancen gäbe. Die Autoren fordern außerdem Elemente demokratischer Spielregeln, wie eine freie Presse, die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen, volle Reisefreizügigkeit und uneingeschränktes Versammlungsrecht. Erst anschließend könne ein neues demokratisches Parlament gewählt werden.

Keine Zeile widmen die Schreiberlinge so brennenden Themen wie der Massenflucht tausender Landsleute nach Griechenland. Und ebensowenig findet man in der Debütnummer Eindrücke von Arbeitern oder Bauern oder ihre persönliche Meinung zu den Umwälzungen im Lande. R. Hofwiler

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