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Improvisation nach Tagesform

■ Bei dem Konzert des Jazz-Trios Paul Bley, Gary Peacock, Paul Motian blieb das Publikum ganz schön ratlos zurück

So recht wußte man am Sonntag abend im KITO nicht, was man von diesem Auftritt halten sollte! War das Konzert nun gut gewesen oder nicht? Warum spielten die Musiker nur so kurze Sets und verweigerten trotz langem Beifall eine Zugabe? Warum war es so anstrengend, dieser Musik zu folgen? Weil die drei auf so hohem Niveau improvisierten, oder weil sie dann doch nicht das Level erreichten, auf dem alles schwebt und wieder ganz einfach wird?

Anders als Keith Jarrett, der ebenfalls mit Gary Peacock und Jack Dejohnette oder Paul Motian seit Dekaden seine Konzerte mit Standards spielt und diese dabei als Sicherung für seine pianistischen Ausschweifungen nutzt, improvisiert das Trio Bley/Peacock/Motian ohne Netz und doppelten Boden. Dabei ist die Tagesform so wichtig wie sonst selten.

Improvisation, so wie diese drei Musiker sie verstehen, ist immer noch Experiment, auch wenn sie schon seit den 60er Jahren perfekt aufeinander eingespielt sind. Und so drängt sich der Verdacht auf, daß der letzte Sonntag einfach keiner von den ganz guten Tagen des Trios war. Man mußte schon ganz genau zuhören, dann blitzten immer wieder die schönen Perlen im Spiel der drei auf, aber auch die tastende Suche nach ihnen bekam man zu hören. Und wieder anders als Jarrett, der seine guten Ideen oft bis zum Abwinken dehnt und wiederholt, spielt Bley sie nur einmal kurz an und sucht schon im nächsten Takt nach der nächsten.

Auch die Idee des Jazztrios wird von Bley/Peacock/Motian so konsequent und riskant zu Ende gedacht wie sonst selten. Die drei spielen tatsächlich gleichberechtigt miteinander – die Rollenteilung mit dem Piano als Hauptinstrument, das auf Baß und Schlagzeug begleitet wird, ist hier völlig aufgehoben. Das wurde schon zum Beginn des Konzerts deutlich, als nach Bley auch Motian ein paar Minuten lang alleine spielte, gefolgt von einem Duo Peacock/Motian. Daran schlossen sich Kollektiv-Improvisationen an, und an dem Mienenspiel der Musiker konnte man sehen, daß sie selbst oft überrascht darüber waren, wohin das Stück sie führte.

Aber für das Publikum war dieses Abenteuer nicht immer so aufregend wie für die Spieler. Ein wenig kulinarischer hätte der Auftritt ruhig sein können. Wenn sie nur wollen, können die drei auch wunderschöne neo-romanntische Ballladen spielen. Doch danach stand ihnen diesmal offensichtlich nicht der Sinn. Muß man so akzeptieren – die kompromißlose Freiheit hat auch im Jazz ihren Preis.

Und den mußte diesmal das Publikum im Vegesacker KITO zahlen. Wilfried Hippen

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