: „Immer waren es mehr oder weniger Unfälle“
■ Funny games, nicht lustig: Götz Thomallas Debütroman über einen Teenager, der mordet
Moritz und Tommie haben einen Bolzenschußapparat gefunden. Cooles Teil, finden die beiden Teenager. Sie spielen ein bißchen damit herum, und Elisabeth guckt ihnen zu. „Kannste vergessen“, sagt Moritz, „da is irgendwas verklemmt.“ Doch dann zieht Tommie an einem Hebel, es macht pfft, und der Bolzen löst sich: „Hoppla, geht ja doch.“ Elisabeth wird von dem Geschoß getroffen. Sie stirbt. Was jetzt? Zuerst einmal irgendwo die Leiche verstecken, „um dann in Ruhe nachzudenken, denn so, in diesem Streß, kann ja kein Mensch einen klaren Gedanken fassen“, denkt Moritz, und er kennt sich aus: „Ich war sieben, als ich zum ersten Mal einen Menschen getötet habe, er hieß René und fuhr mit demselben Bus zur Schule wie ich“, erklärt der Erzähler in Götz Thomallas Roman „Die Angst der Fische in der Tiefe“. So ganz nebenbei.
Während er das sagt, zuckt er mit den Achseln, und man ist tatsächlich ein wenig schockiert: Dieses Buch steckt voller Scheußlichkeiten. Natürlich liest man es trotzdem. In einem kühlen, hingeschnodderten Ton erzählt Moritz von der Beseitigung der Leiche und von seinen eigenen Morden. Ganz unbeteiligt. Genauso unbeteiligt, wie er aus seinem Leben erzählt: von seiner Adoption als Baby, von seinem Adoptivvater – einem experimentierfreudigen Arzt, der früh stirbt – und seiner Mutter, mit der Moritz an der Ostsee lebt und die ständig neue Männer anschleppt. Keine Sonnenscheinkindheit, und in ein paar Heimen war er natürlich auch schon.
Jetzt ist Moritz fünfzehn. In letzter Zeit ist er ziemlich ruhig geworden, findet er. Doch plötzlich passiert etwas: Zuerst die Sache mit dem Bolzenschußapparat, und dann taucht auch noch ein Wissenschaftler auf, der die Laborunterlagen des Vaters durchsehen will. Ein unheimlicher Biographie- Krimi beginnt: Nach und nach erfährt Moritz die ganze, reichlich deprimierende Geschichte seiner Adoptivfamilie – und damit auch die Wahrheit über seine eigene Herkunft.
Verraten darf man davon natürlich gar nichts, außer daß das Ganze ein fieser Erzähltrick ist: Götz Thomalla, gerade erst 25 Jahre alt, spielt mit seinen Lesern. Mit einem ordentlichen Spannungsbogen erzeugt er die Illusion, daß man den Teenage-Killer Moritz „verstehen“ kann – wenn man nur lange genug im Dunkel der Biographie herumwühlt oder die Sozialisationsgeschichte zerpflückt. Und dann hat man das ganze Buch gelesen, und es war auch sehr spannend. Aber man hat gar nichts erklärt bekommen. Statt dessen sieht man Moritz noch einmal mit den Achseln zucken: „Im nachhinein muß ich sagen“, sagt er lässig, „daß es meist Zufälle waren, die mich zum Töten gebracht haben, immer waren es mehr oder weniger Unfälle, Verkettungen verschiedener Umstände, und genauso habe ich es damals auch gesehen. Eine Zeitlang habe ich es als eine Art Hobby betrachtet, lustig, nicht?“
Nein, eigentlich nicht lustig. Eher verstörend, und gerade darum ist „Die Angst der Fische in der Tiefe“ ein tolles Buch. Man muß allerdings dazusagen, daß Götz Thomalla für sein Debüt anscheinend eine gute Vorlage hatte. Teile des Plots, Figurenkonstellationen und sogar landschaftliche Details kennt man aus dem Roman „Die Wespenfabrik“ des schottischen Schriftstellers Iain Banks. Das ist auch etwas verstörend, macht Thomallas Buch aber nicht schlechter. Kolja Mensing
Götz Thomalla: „Die Angst der Fische in der Tiefe“. Rowohlt Berlin. Berlin 1998, 383 Seiten, 39,80 DM
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