: Immer unter Beobachtung
■ Nils Hofmann hat das Spiel stets im Blick – muß er auch: Der Mittfünfziger ist einer von 50 Schiedsrichterbeobachtern des Hamburger Fußball-Verbands
Der Schiedsrichter zögert nicht lange und stellt den Übeltäter vom Platz. Das gestreckte Bein mit den Stollen vorneweg – zuviel für nur eine Verwarnung. Während die meisten Zuschauer noch eifrig über die Berechtigung der Sanktion debattieren, macht sich ein etwas abseits auf der Tribüne sitzender Herr Notizen.
Der Mittfünfziger Nils Hofmann ist Schiedsrichterbeobachter. Seine Eindrücke und Beurteilungen entscheiden mit darüber, ob ein Unparteiischer für höhere Aufgaben geeignet ist oder auch weiterhin lieber Bezirksliga-Bolzereien leiten sollte. Der Mann vom SV Lurup sitzt bewußt für sich allein. Er will sich nicht von Zuschauern beeinflussen lassen. Das Notizbuch ist sein einziger Begleiter, dem er jede zweifelhafte oder unklare Entscheidung des Spielleiters anvertraut.
Hofmann ist an diesem verregneten Abend froh, daß sich der gastgebende Verein in besseren Zeiten eine überdachte Tribüne gegönnt hat. Er kennt die Mühen, „Schirm, Stift und Zettel zu halten, und gleichzeitig das Spiel nicht aus den Augen zu lassen“. Jede gelbe Karte vermerkt der Bankangestellte auf die Minute genau, jeden ungeahndeten Rempler schreibt er nieder – schließlich soll es eine möglichst gerechte Einschätzung werden.
Da Gerechtigkeit jedoch oft von der Subjektivität des Richtenden getrübt wird, ist auch Hofmann an bestimmte Kriterien gebunden, festgehalten in einem standardisierten DIN A4-Berichtsbogen. Der wird zwecks Auswertung an den Hamburger Fußball-Verband (HFV) geschickt.
Der Kontrollzettel hat es in sich. So wird unter anderem das „Auftreten und Verhalten des Schiedsrichters“beurteilt. Dabei reichen die Einschätzungen von „korrekter Umgang mit den Spielern“über „zaghaft/unentschlossen“bis hin zu „übertriebenes Auftreten“. Aber auch das „Laufvermögen und Stellungsspiel“sowie die „Zusammenarbeit mit dem Schiedsrichterassistenten“(vulgo: Linienrichter) spielen eine Rolle. Am Ende versieht Hofmann den Bericht stets mit einem persönlichen Kommentar und einer Punktnote. Ein Wert von 50 ist top; geht es unter 35, gibt es einen kräftigen Anpfiff.
Schon einige Minuten vor der Halbzeitpause setzt sich ein Großteil der Zuschauer Richtung Bier- und Wurststand in Bewegung. Hofmann nicht. Der Voyeur im Auftrag der Fairneß harrt aus. Er muß bis zur letzten Sekunde seine Augen auf dem Spielgeschehen ruhen lassen. „Es hat schon Fälle gegeben, in denen meine Kollegen nicht einhundertprozentig gearbeitet haben.“Wo solche Ereignisse bekannt werden, ruft der Verband ab: Der Schiribeobachter steht selbst unter Beobachtung.
Pünktlich zum Wiederanpfiff sitzt Hofmann auf seinem Platz. Das Spiel paßt sich immer mehr der Witterung an. Doch er muß die Tristesse ignorieren und weiter beobachten. Was jemanden treibt, diesen Job zu übernehmen, kann er nicht genau sagen. „Vielleicht ist es die Möglichkeit, nach einer aktiven Laufbahn am Ball zu bleiben.“Mit 48 Jahren ist die Karriere eines Pfeifemannes unweigerlich zu Ende.
Nach dem Abpfiff macht sich Nils Hofmann auf den Weg ins Clubheim, um an seinem Bericht zu arbeiten. Noch ist das Spielgeschehen frisch in Erinnerung, und ein Getränk in geselliger Runde kollidiert jetzt auch nicht mehr mit den Pflichten. „Ganz ordentlich“, kommentiert Hofmann die Leistung seines Schützlings. Der Schiedsrichter wird nicht vom Platz gestellt.
Daniel Ganama
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