Die rechte Szene bleibt bewaffnet

Die neue Innenministerin Nancy Faeser will Rechtsextreme entwaffnen. Bisher gelingt das nicht, im Gegenteil: Die Zahl der Szeneangehörigen mit Waffenerlaubnis steigt

„Neonazis, die über Waffen verfügen, setzen die auch ein“

Martina Renner, Die Linke

Von Konrad Litschko

Die neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser betonte es gleich zu ihrem Dienstantritt: „Die größte Gefahr für unsere Demokratie ist der Rechts­ex­tre­mis­mus.“ Man wolle dieser Gefahr entschieden entgegentreten, so die Sozialdemokratin. Rechtsextremisten müssten entwaffnet, Gefährder überwacht, Präventionsprogramme verstärkt werden. Doch in der Praxis zeigt sich, dass die Sache nicht so leicht ist.

Die Entwaffnung der rechtsextremen Szene gelingt bisher jedenfalls nicht. So antwortet Faesers Ministerium zwar auf eine Linke-Anfrage, die der taz vorliegt, dass seit 2018 bis Ende 2021 insgesamt 169 Rechts­ex­tre­mis­ten ihre waffenrechtliche Erlaubnis entzogen wurde. Zudem wurden von Ende 2016 bis Ende 2020 – aktuellere Zahlen liegen nicht vor – auch die Erlaubnisse von 880 Reichsbürgern einkassiert.

Gleichzeitig aber räumt das Ministerium ein, dass mit Stichtag 27. Dezember 2021 immer noch 1.561 Rechtsextremisten legal Waffen besitzen. Das bedeutet einen Anstieg um knapp 30 Prozent zum Vorjahr – damals lag die Zahl bei 1.203. Und auch 550 Reichsbürger besaßen Ende 2020 noch waffenrechtliche Erlaubnisse.

Das kann daran liegen, dass schlicht mehr Fälle entdeckt wurden: Seit einer Waffenrechtsreform Ende 2019 müssen sich Behörden beim Verfassungsschutz über eine Person erkundigen, bevor sie eine Waffenerlaubnis erteilen. Es zeigt aber auch, wie leicht es Extremisten noch immer gelingt, legal an Waffen zu gelangen – und wie schwierig ein Entzug der Erlaubnis ist.

In einem Fall ermittelt derzeit gar die Bundesanwaltschaft gegen einen Rechtsextremen wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Bei dem Mann wurden Magazine für automatische Gewehre gefunden, die er legal besaß. Zudem weiß das Ministerium von 22 Fällen, dass Rechtsextreme seit 2020 Schießübungen abhielten. Auch hier ermittelt die Bundesanwaltschaft in einem Fall gegen Rechtsextreme, die im Januar und Juli 2021 Schießstände in Tschechien besuchten.

Das Ministerium berichtet auch von 24 Angriffen mit Waffen auf Geflüchtete im vergangenen Jahr. In mehreren Fällen kamen dabei Schreckschusswaffen zum Einsatz. Bei Angriffen in Alfdorf, Karstädt, Ahlen, Drage, Schmalkalden, Nienburg, Forst und Berlin wurden aber auch scharfe Schusswaffen verwendet. Darüber hinaus gab es fünf Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte mit Waffen.

Für die Linke-Innenexpertin Martina Renner, die die Anfrage an das Ministerium gestellt hatte, sind das unerträgliche Zustände. „Die Bundesregierung muss schnell daran arbeiten, Neonazis und Reichsbürgern die Erlaubnis zum Waffenbesitz zu entziehen“, sagte sie der taz. „Neonazis, die über Waffen verfügen, setzen diese auch ein.“ Auch die Angriffe auf die Geflüchteten seien alarmierend. „Schüsse auf Geflüchtete markieren den Anschluss der rassistischen Mobilisierung an die Pogrome der neunziger Jahre.“

Faeser kündigte inzwischen einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus bis Ostern an. Die Maßnahmen sollen danach „zeitnah“ umgesetzt werden. Eine davon soll ein konsequenteres Vorgehen gegen Ex­tre­mis­ten im öffentlichen Dienst sein. Faeser will hier Disziplinarverfahren beschleunigen.

Die Bundesinnenministerin erklärte zudem, gegen Straftäter auf den Coronaprotesten „hart durchgreifen“ zu wollen. Auch solle stärker gegen Hetze auf dem Messengerdienst Telegram vorgegangen werden. Man nutze dafür derzeit alle diplomatischen Kanäle und setzte auf eine europäische Zusammenarbeit, sagte Faeser am Mittwochabend nach einem Treffen mit SPD-Innenminister:innen aus den Ländern. Auch soll die Zahl an Cyberermittlern aufgestockt werden. Faeser appellierte an die Verantwortung von Google und Apple, die Telegram in ihren App-Stores anbieten, nicht zur Verbreitung von Hassbotschaften beizutragen. Telegram sei ein „Brandbeschleuniger“ für Rechtsextremisten. Bereits zuvor hatte sie als letzte Konsequenz angedroht, den Messenger abzuschalten – offenbar per Verbannung aus den App-Stores.