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Immer mehr Radfahrer verunglücken

■ In Ostberlin innerhalb von drei Jahren Vervierfachung der Zahl der verunglückten Radfahrer / Grüne sprechen vom "Blutzoll des Straßenausbaus" / Landesverkehrswacht: Senator Haase ohne Konzept

Der Autoverkehr auf Berlins Straßen wird immer bedrohlicher – doch besonders gefährdet sind Radfahrer, Fußgänger sowie Kinder. Im Ostteil der Stadt ist etwa das Radfahren seit 1990 ganz besonders gefährlich geworden. Vor drei Jahren verunglückten „nur“ 312 Radler, im Jahr darauf waren es 958 und im vergangenen Jahr schon 1.226. Der Anteil verunglückter Radfahrer an der Gesamtzahl von Unfällen mit Personenschäden betrug in den Ostbezirken 1991 noch knapp 18 Prozent, 1992 kletterte dieser bereits auf rund 22 Prozent, brachte der Abgeordnete Bernd Köppl (Bündnis 90/Grüne) in Erfahrung.

Nach einem neuen Bericht des Statistischen Landesamtes sind die Verkehrsunfälle im gesamten Stadtgebiet zwischen 1991 und 1992 um 6,1 Prozent auf 169.247, die Unfälle mit Verletzten und Getöteten um 9,0 Prozent auf 18.338 gestiegen. Überraschend ist, daß wiederum die Zahl verunglückter Fußgänger im Ostteil der Stadt (1.440) mit einer Zunahme von 0,3 Prozent fast konstant blieb, während im Westteil der Stadt mit einem Plus von 7,9 Prozent auf 2.461 eine erhebliche Steigerung zu verzeichnen ist.

Ebenfalls stieg die Zahl getöteter Radfahrer im Westteil der Stadt mit 28,6 Prozent von 14 auf 18 Tote deutlich, in Ostberlin war die Entwicklung entgegen des üblichen Vorurteils dagegen umgekehrt: Verloren 1991 noch zehn Radfahrer ihr Leben im Straßenverkehr, waren es 1992 sechs. Auch die Zahl getöteter Kinder stieg im Westteil der Stadt von zwei auf sieben – im Ostteil blieb sie konstant.

Der Abgeordnete Köppl spricht von einem „dramatischen Anstieg“ der Unfallzahlen besonders bei Fußgängern und Radfahrern. Die Opfer seien der „Blutzoll des Straßenausbaus“. Denn Ursache für die Zunahme sei nicht nur, daß Autofahrer zunehmend schnellere Wagen fahren, sondern eben auch der Straßenaus- und -neubau sowie eine „Diskreditierung der öffentlichen Verkehrsmittel“.

Die Polizei sieht dies anders. Gerade die Erneuerung der Straßen im Ostteil der Stadt mache den Verkehr sicherer, sagt Wolfgang Klang, Leiter der Unfallauswertung. Schließlich führe eine schlechte Markierung zu Irritationen, Schlaglöcher oder Beläge mit Kopfsteinpflaster zu längeren Bremswegen. Im Osten sei es auch auf Grund fehlender Ampeln, Zebrastreifen und Mittelinseln für Fußgänger schwieriger, Straßen zu überqueren. Eine Ursache sei auch, daß vor allem im Osten schneller gefahren werde, als es erlaubt sei. Deshalb überwache die Polizei schwerpunktmäßig hier – „unter Vernachlässigung der Westbezirke“.

Unfallauswerter Klang mißt eine erhebliche Bedeutung aber auch der gewachsenen Zahl an Baustellen zu. Die Verkehrsführungen würden durch Umleitungen unklarer, Autofahrer würden irritiert, und Kinder seien an diesen unübersichtlichen Stellen überfordert. Durch die Behinderungen fließe der Verkehr zäh, dadurch nehme der Streß zu und steige die Zahl der Fehlreaktionen.

Nach Ansicht der Polizei hat aber auch die Verkehrsmoral einen Tiefpunkt erreicht. Vor allem im Ostteil seien permanente Verstöße gegen die Verkehrsvorschriften an der Tagesordnung, erklärte Polizeisprecher Bernd Mollenhauer diese Woche. So seien am vergangenen Mittwoch bei einer Kontrolle in der Puschkinallee in Treptow innerhalb von nur fünf Stunden 13 Autofahrer ohne Führerschein erwischt worden. Drei Fahrer hatten keine Versicherung, zwei fuhren ohne ordnungsgemäßes Kennzeichen. Zugleich wurden dort 360 Tempo-Sünder erwischt – acht Raser müssen mit Fahrverbot rechnen.

Horst Beyer, Geschäftsführer der Landesverkehrswacht Berlin, die sich insbesondere für mehr Sicherheit im Straßenverkehr einsetzt, warnt aber vor dem Ruf nach mehr Polizei. Diese sei schließlich schon jetzt personell überfordert. Neben besseren Straßen, mehr Radwegen und Ampeln fordert die Landesverkehrswacht, daß auf keiner Hauptstraße mehr als Tempo 50 erlaubt sein dürfe und den „Rasern“ der Kampf angesagt werden müsse. Beyer kritisiert insbesondere die Verkehrsverwaltung, weil sie bislang keine Konzeption gegen die zunehmende Zahl von Unfällen erarbeitet hat. Verkehrssenator Herwig Haase (CDU), appelliert Beyer, sollte das Thema auf die Tagesordnung im Verkehrsbeirat setzen.

Die Verkehrsverwaltung weist die Vorwürfe der Landesverkehrswacht zurück. „Wir haben eine erhebliche Power in die Ostbezirke gesteckt“, sagt Verwaltungssprecher Tomas Spahn. Die Zahl der 1989 vorhandenen 250 Ampeln sei bis heute auf 360 erhöht worden und soll weiter auf 500 steigen. Auch sei die Fläche der sichereren Tempo-30-Zonen in den Ostbezirken erheblich gewachsen. Im Herbst wolle man über Fernsehspots die Verkehrsteilnehmer „sensibilisieren“, damit diese sich „vernünftiger“ verhalten. Es sei Absicht des Senators, die Unfallzahlen zu senken. Spahn räumte allerdings ein, daß der Senator bei der Minderung der Unfallzahlen sich auf kein Zahl festlegen wolle. Dirk Wildt

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