: „Immer lächeln, freundlich sein“
■ BREMEN NEBENAN: Bei Herbert in seinem Laden an der Ecke
40 Jahre schon gibt es den kleinen Lebensmittelladen im Steffensweg. Daher kommt es auch, daß selbst die alten Frauen Herrn Busch schlicht „Herbert“ nennen und ihn duzen. Sie kannten ihn ja, seit er dem Vater noch im Laden half und sie ihm über den Kopf strichen. Jetzt ist er der gute Geist für sie, besorgt Extrawünsche, läßt sich am Wochenende rausklingeln, bringt ihnen bei seinen „Hausbesuchen“ die Bestellungen vorbei und hört sich ihre Alterssorgen an. Und obwohl er den Edeka-Laden schon seit 25 Jahren führt, sieht er immer noch wie ein Junge aus, geboren 1945. Solche Nachbarschaftsläden wie der von Herbert haben eine ähnliche Funktion wie die Kneipe an der Ecke, wo man sich trifft, klatscht und tratscht und meistens ein bißchen länger bleibt, als man es eigentlich vorhatte. Wie ein geduldiger Kneipenwirt, der sich in nichts einmischt, steht denn Herbert auch in seiner grünen Schürze hinter dem tresen, reicht Bier und Zigaretten rüber für die Clique der Arbeitslosen und Rentner, die sich vor dem Eingang zu einem Plausch versammeln und die ankommenden Kunden begutachten. Auch im Laden hat er eine besondere Stammkundschaft, vornehmlich Männer, die in den engen Gängen zwischen den Regalen stehen und darauf warten, daß es wieder ein Thema gibt. Zum Beispiel, daß der junge Mann mit der dicken Brille von seiner langjährigen Freundin verlassen wurde, die jetzt nicht mehr kommt, weil sie, so munkelt man, auf die Parzelle gezogen ist. Oder die alte, verrückte Frau, die glaubt, daß ihr Mann noch lebt, und die so fürchterlich stinkt, daß alle fluchtartig den Laden verlassen und sagen: „Erna, wasch Dich doch mal!“. Und sie schimpft: „ich stinke nicht, das riecht nach Irish Moos!“. Herbert bedient sie, ohne zu drängeln, dann schlurft die Alte wieder nach Haus und die Gängesteher kommen wieder rein und haben was zu lachen. „Ich brauche meine Stammkunden“, sagt Herbert, „die passen auf, daß die Schüler nicht klauen.“ Tatsächlich muß da selbst der sanfte Herbert streng sein, wenn der Ansturm vom nahen Schulzentrum Waller Ring in der Pause kommt. Einmal hat er sogar die Polizei gerufen, „damit sich das bei denen rumspricht“, und oft schließt er hinter einem Grüppchen einfach die Ladentür zu, damit es nicht zu unübersichtlich wird.
Herbert Busch lebt allein, seit seine alte Mutter vor anderthalb Jahren gestorben ist. Kürzlich hat er das erste Mal in seinem Leben eine große Reise gemacht, nach Indonesien: „Vorher ging das ja nicht, weil meine Mutter immer Angst um mich hatte“. Als sich aber Herberts Reisepläne herumsprachen, da war im Laden was los. Reiseroute, Hotel, Unternehmungen, alles wurde erfragt und lang und breit diskutiert. Drei Leute standen über den Atlas gebeugt und suchten Herberts Reiseziel. Alle wollten eine Postkarte haben, aber da weigerte sich Herbert schon im Voraus.
Drei Wochen lang hing ein kleiner Zettel an der Tür: „Urlaub bis zum 20.“ und die Ecke im Steffensweg verwaiste. Aber nun, endlich, stehen sie wieder vor der Tür und drinnen in den Gängen,und die Warteschlangen sind besonders lang, denn immer wieder heißt es: „Wie wars denn, Herbert, was hast Du erlebt?“ Herbert lächelt still, wie es seine Art ist, schneidet die Mortadella und sagt: „Auf Bali, in einer Kneipe, da bediente ein Mädchen,fast noch ein Kind. Tausend Leute sprachen sie an. Ich hab sie gefragt, wie sie das aushält. Immer lächeln, sagte sie, immer freundlich sein. Ja – so mach ich das eigentlich auch“ Cornelia Kurth
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen