: Immer glücklich in Abba-Land?
■ In Schweden ist der Schriftsteller und Kabarettist Jonas Gardell ein Star / So einen wie ihn hätten wir gerne in Fernsehdeutschland
Zu Hause in Schweden hat er eine eigene TV-Show, in Deutschland ist er ein Unbekannter – knapp anderthalb Stunden las, sprach, schauspielerte Jonas Gardell, Buch- und Theaterautor und Kabarettist, am Montag abend im Buchladen Männerschwarm am Neuen Pferdemarkt. Nach dieser Lesung – besser diesem Auftritt – war klar: Eine Persönlichkeit wie ihn hätten wir gern in Fernsehdeutschland. Haben wir aber nicht. So müssen wir uns mit den beiden seiner bislang sechs Romane begnügen, die in deutscher Übersetzung vorliegen.
Die lustige Stunde heißt das jüngste Werk: Ein Berufskomiker hält Rückschau auf seine Kindheit im Schweden der siebziger Jahre. „From The Years Of Early Abba“, sagt Jonas Gardell und lacht. Das ist nicht autobiographisch gemeint (Gardell ist Jahrgang 63), sondern stellvertretend für eine Generation auf der Suche nach ihren verlorenen Wurzeln.
„Es gab reiche Kinder in den Industrieländern und arme Kinder in den Entwicklungsländern, aber die reichen Kinder konnten den armen Kindern etwas abgeben, und dann wurde sofort alles besser... In allen Bereichen wurde es immer nur besser und besser. Schweden war das reichste Land der Welt, und das alles gehörte zu Gottes Plan. So war die Welt, in die Juha Lindström hineingeboren wurde und in der er aufwuchs.“ Aber Juha ist bei den anderen Kindern nicht anerkannt, er wird zum Außenseiter, zum ungeliebten Klassenclown. Und er wird zum rückgratlosen Opportunisten, der sogar auf Geheiß der Klassenstärksten den einzigen Mitschüler verprügelt, der sein Freund hätte werden können. Als Erwachsener schreibt Juha ihm, der längst tot ist, Briefe, in denen er verzweifelt versucht, sich zu erinnern an die Verstrickungen der Kindheit, einen Weg zu finden, sich die eigene Schuld selbst verzeihen zu können. Was bleibt, ist der Haß auf die triste gepflegte schwedische Vorstadt, „in allem sich selbst genug“.
Jonas Gardell liest im Stehen. Seinen Stuhl hat er – samt seiner unnachahmlichen Zusammenfassung des bereits Gelesenen – einem späten Gast überlassen. Zwischendurch spricht er auf heitere und ernste Art gleichzeitig mit den Zuhörern: „Wenn du aufwachst, hast du niemanden außer dir selbst. Du mußt die Liebe selbst entdecken, und den Respekt. Manche werden Clowns. Andere haben gar nichts zu bieten. Und die haben es wirklich schwer.“ Auf die Nachfrage, ob sich das wohl jemals ändern werde, antwortet er knapp: „Nein.“ Und nach einer kurzen Pause: „Das einzige, was wir tun können, ist, Scherze darüber zu machen.“
Ulrich Paasch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen