: Immer doppelbödig
■ Dorothea Renckhoff inszeniert das ambivalent-realistische Kinderstück „Das klingende Haus“ am Schauspielhaus
Das Böse ist selten eindeutig zu erkennen. Denn meist tritt es im Verein mit dem Guten auf. In Kinderbüchern wird diese Realität gerne klassisch verknappt auf eine böse Hexe oder Stiefmutter und ein unschuldiges Gegenüber. Mit der Uraufführung von Das Klingende Haus, dem Debut der ehemaligen Zadek-Dramaturgin Dorothea Renckhoff, geht das Schauspielhaus in diesem Jahr neue Wege. Regisseur und Bühnenbildner Goetz Loepelmann, sehr erfahren im Inszenieren von Kindertheater, suchte diesmal ausdrücklich nach einem Weihnachtsmärchen mit mehr Realitätsbezug.
In dem klingenden Haus begegnet die junge Waise Lina dem unheimlichen Zauberer Zuckermahn, gespielt von Jörg Ratjen. Die Handlung stellt relativ hohe Anforderungen an die Kinder. Denn Lina ist hin- und hergerissen zwischen dem Zauberer und der warnenden Elster Schackerack. Die behauptet, sie lebe noch dank eines Zauberringes, und Zuckermahn bräuchte Lina als Menschenopfer.
Für den jungen Schauspieler Ben Daniel Jöhnk ist es das erste Kinderstück, in dem er als festes Ensemblemitglied am Schauspielhaus mitwirkt. „Vor Kindern zu spielen ist die größte Herausforderung. Sie sind am gnadenlosesten“, sagt der Schauspieler. Er spielt den Grafen und undurchsichtigen Zauberlehrling des Zuckermahn, der sich in Lina verliebt. Erst einmal vertraut Lina allen. Das wird für die Kinder noch einfach zu verstehen sein. Dabei bietet das Stück keine Action und keine Lieder, aber eine phantasievolle Welt der Wunder und kleinen Zaubereien. Jöhnk: „Für Lina ist die große Frage das Vertrauen. Einige Tiere warnen sie vor der Kälte des Grafen, andere vor Zuckermahn.“ Und Dramaturgin Stefanie Hontscha setzt hinzu: „Das Stück ist ein ständiges Hinterfragen. Wer meint es jetzt gerade gut, und kann ich jemandem immer trauen? Die Figuren sind doppelbödig. Der Zauberer ist intrigant, aber auch ein lieber Mensch.“
Damit spiegelt das Stück die Realität direkter als viele andere Weihnachtsmärchen. Hontscha: „Es geht auch darum, in fremde Welten einzutauchen. Das erleben ja schon Sechsjährige. Im Urlaub leben Menschen plötzlich anders als zu Hause. Es geht auch um die Frage, ob man prinzipiell vor dem Fremden Angst haben muss, oder ob das Altbekannte nicht manchmal viel trügerischer ist.“
Neben den unheimlichen Momenten gibt es viel Poesie, vor allem in der Liebesbegegnung mit dem Grafen. Aber auch er ist kein Märchenprinz. Hontscha: „Er erkennt den Widerspruch zwischen seiner Karriere und Lina, die er dafür opfern müsste.“ Das gleiche gilt für Lina: „Sie will Gutes, versucht aber, es jedem recht zu machen und muss damit zwangsläufig jemanden enttäuschen.“ Am Ende wird Lina wahrscheinlich auch für die jungen Zuschauer nicht mehr das unbedarfte Mädchen sein wie zu Beginn. Annette Stiekele
Premiere heute, 11 Uhr, weitere Vorstellungen: 16., 25. 11., 11 Uhr, 25.11., 16 Uhr, Schauspielhaus
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