hamburger szene : Immer dem Kalender nach
Wir sind schon fast in Harburg, als der dunkelhäutige Mann den vollen Waggon betritt. Schweiß läuft ihm in Sturzbächen den kahlen Schädel hinunter. Er schiebt zwei große Kartons vor sich her und trägt einen schweren Rucksack, aus dem es klingt, als würden massive Metallteile aneinander schlagen, aber niemand kommt auf eine komische Idee. Denn er lacht wie einer, der das Leben liebt.
Er lässt seine geschätzten 250 Kilo in den einzigen freien Sitz einer Vierergruppe plumpsen. Natürlich stößt der massige Mann seine Nachbarin an, die Frau gegenüber ruckt beflissen an ihrem Koffer unter dem Tisch. „Kein Problem“, sagt er, und schon hat er alle in ein Gespräch gezogen. Darüber, wie er den Europabus in Hamburg verpasst hat und jetzt mit Hilfe des ICE versuchen will, ihn in Bremen wieder einzuholen. Obwohl ihm der Atem schwer geht und er Deutsch radebrecht, ist sein Plauderton ansteckend. Lauter Menschen, die sich vorher schweigend gegenübersaßen, haben plötzlich etwas beizutragen.
Als der Proviantverkäufer kommt, haben sie sich genug warm geredet, um auch ihn mit einem branchenfremden Problem zu behelligen: „Entschuldigung, es ist so fürchterlich kalt hier“, sagt eine Frau. Das müsse die Klimaanlage sein, erwidert der junge Mann fröhlich. Das hatte sie sich auch schon gedacht. Aber ob man daran denn nichts ändern könne? „Ich vermute“, sagt der charmante junge Mann verschmitzt, „dass die nach Jahreszeit eingestellt ist. Und schließlich haben wir noch fast August.“ Er grinst und fragt: „Möchte vielleicht jemand eine Tasse heißen Kaffee?“Jan Kahlcke