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Im U-Bahnfieber

■ Anfangs war das Röhrenbuddeln noch ein lukratives Geschäft / Potsdamer Platz - die nie fertiggestellte Superdrehscheibe für die „tausendjährige“ Metropole

Der Ausbau der U- und S-Bahnen in Berlin um die Jahrhundertwende wurde von verschiedenen, teils privaten und miteinander konkurrierenden Gesellschaften betrieben. Das älteste Bauwerk am Potsdamer Platz war der U-Bahnhof, der bei der Eröffnung 1907 noch „Leipziger Platz“ hieß. Diese U -Bahnteilstrecke stellte die Betreiber vor weitaus größere technische, aber auch rechtliche Schwierigkeiten als die 1902 eröffnete Hochbahn von der Warschauer Brücke über Schlesisches Tor zum Zoologischen Garten. Erst wollte man, so schreibt der damalige Berliner Baurat Wittig, den Weg durch die Leipziger Straße wählen. Man hatte aber Angst, den Autoverkehr zu sehr zu beeinträchtigen und die alten Häuser zu untergraben. Deshalb verschwenkte man die Linie unter der - parallelen - Voßstraße hindurch, was aber wegen der zahlreichen engen Kurven Probleme bereitete. Zum Glück konnte man die Baugrube zu einer Erweiterung des Kaufhauses Wertheim nutzen. Der Bahnhof Leipziger Platz selbst wurde direkt unter den Neubau des Hotels „Fürstenhof“ gebaut, das zwischen Königsgrätzer Straße (heute Stresemannstraße) und Leipziger Platz stand. Dort, wo jetzt ein Mauerstreifen ist. Dazu mußte die Gesellschaft erst mit der Firma Aschinger handelseinig werden, die 1904 die ganze Häuserreihe am Leipziger Platz gekauft hatte. Um Erschütterungen zu vermeiden, wurden die bestehenden Hausfundamente nachträglich bis tief unter die Sohle des U-Bahntunnels gemauert, all dieses führte zu hohen Kosten, nämlich zu zehn Millionen Mark pro Kilometer - damals ein horrender Betrag.

Auch rechtliche Schwierigkeiten mußten überwunden werden. Die U-Bahn wurde von der Hochbahngesellschaft gebaut. Die „Große Berliner Straßenbahn“ erhob vor Gericht einen Konkurrenzeinwand, die Stadt führte dagegen Klage und gewann 1905 vor dem Reichsgericht. Der Bahnhof Leipziger Platz wurde wegen der Untertunnelung des Hotels ungewöhnlich breit angelegt. Um ihn besser zu beleuchten, schuf man ein rundes Oberlicht mit fünf Metern Durchmesser. Es gab drei Zugänge zum Bahnhof, alle reich mit eisernen Ornamenten verschnörkelt. Einer lag am „Haus Vaterland“ an der heutigen Stresemannstraße, wo jetzt das Wohnwagendorf der Rollheimer ist, etwa fünf Meter hinter der Mauer. Ein zweiter war zwischen den Grünanlagen in der Mitte des Leipziger Platzes, der dritte auf dessen Nordseite, gegenüber dem Kaufhaus Wertheim.

In einem weiteren Schritt wurde der U-Bahnhof Potsdamer Platz an das Gleisdreieck angeschlossen. Dieser Hochbahnhof galt als Meisterwerk der Baukunst, weil er den Landwehrkanal, die Uferstraße und den S-Bahntunnel unter dem Kanal überspannte. 1912 begann man mit dem Bau des Umsteigebahnhofs Gleisdreieck Richtung Potsdamer Platz, aber erst 1926 war die komplette Linie Potsdamer Platz -Gleisdreieck-Kurfürstenstraße-Nollendorfplatz fertig.

Erst 1936 wurde der S-Bahnhof am Potsdamer Platz eröffnet, als die Nord-Süd-Bahn gebaut wurde, ein ehrgeiziges Projekt der Nazistadtplanung Albert Speers. Dabei kam es zu einem tragischen Unfall: 19 Arbeiter starben, noch mehr wurden verschüttet, als im August 1935 die Baugrube in der damaligen Hermann-Göring-Straße - heute ein Mauerstreifen nahe dem Brandenburger Tor einstürzte. Eine spektakuläre Rettungsaktion der Nazis unter Leitung des Propagandaministers Göbbels folgte. Auch die darüberliegenden Straßenbahnschienen knickten ein, „glücklicher Zufall, daß gerade keine Straßenbahn fuhr“, schrieb die 'Deutsche Allgemeine Zeitung‘.

Die Freude der Berliner an dem Bauwerk währte nicht lange. Nicht nur, weil während des Krieges die Häuser am Potsdamer Platz in Schutt und Asche gelegt wurden. 1945, wenige Tage vor der Kapitulation, sprengte die SS den Tunnel der Nord -Süd-Bahn. Mehrere Züge wurden von den hereinströmenden Fluten des Landwehrkanals überschwemmt. Hunderte von Menschen ertranken.

Weitere Planungen der Nazizeit blieben in der Schublade. Dazu gehört eine zweite U-Bahnlinie als Anschluß an den Ostteil der Linie 1 und der S-Bahnanschluß vom Potsdamer Platz Richtung Schöneberg, wofür kurz vor Kriegsausbruch noch der Anschlußtunnel gegraben wurde. Ebenfalls geplant war eine S-Bahnstrecke vom Anhalter zum Görlitzer Bahnhof unter der Anhalter Straße, der Kochstraße und der Oranienstraße. Die S-Bahnhöfe sollten Kochstraße, Lindenstraße, Moritzplatz und Skalitzer Straße heißen und fast alle Umsteigebahnhöfe zur U-Bahn werden. Aber nur der S -Bahnhof Moritzplatz wurde im Rohbau fertiggestellt.

esch

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