: Im Schaum der Erinnerung
Der Bachmannpreisträger Uwe Tellkamp verhebt sich mit seinem verschmockten Roman „Der Eisvogel“ und sorgt für die große Enttäuschung dieses Bücherfrühlings
Nimmt man die Begeisterungsstürme zum Maßstab, die sich nach Uwe Tellkamps Auftritt beim Bachmann-Lesen 2004 in Klagenfurt entwickelten, dann hätte Tellkamps Roman „Der Eisvogel“ das große literarische Ereignis des Frühjahrs sein müssen. „Ganz große Literatur“, „schiere Kunstfertigkeit“, „ein großer Autor“, „Überfülle“ – viel Lob prasselte damals auf Tellkamp ein und bescherte ihm auch den Bachmann-Preis.
Nach der Lektüre aber muss man sagen, und damit erklärt sich der obige Konjunktiv, dass „Der Eisvogel“, nicht zuletzt gemessen an der Begeisterung und den sich daran knüpfenden Erwartungen, der Absturz dieses Frühjahrs ist. Ein furchtbar quälender Roman, ein aufgeblasener, überladender Roman, ein richtiger Reinfall. Tellkamp versucht mit „Der Eisvogel“ die Geschichte des jungen Philosophen Wiggo Ritter zu erzählen, der an sich selbst, seinem Vater, der Gesellschaft und vielem mehr scheitert und in einer Organisation namens „Wiedergeburt“ landet: einer elitären Terrororganisation, die die Demokratie scheiße, weil zu windelweich und mittelmäßig findet und wieder für „Führung, Ordnung, Sicherheit“ sorgen will.
Nur ist dieses Erzählen mehr ein Stolpern, denn Tellkamp will nach vorn, zurück und ansonsten alles: den ganz großen Wurf, die große Konstruktion, und so schiebt er die Zeiten ineinander, türmt Erzählebene auf Erzählebene und „ballt den Schaum der Erinnerung“ (Tellkamp), ohne dass das dem Roman irgendwie förderlich wäre.
Nun darf man sich ja ordentlich verheben und scheitern. Doch was richtig wehtut, ist diese pseudoflirrende, pseudosinnliche, dräuend-verschmockte Sprache, die literarische Üppigkeit darstellen soll und doch nur Überflüssiges produziert; vor allem Bilder, die Tellkamp als Lyriker zeigen, aber in einem Roman nur Stirnrunzeln verursachen: Da fängt die Sonne die kalten Klingen des Mistral in ihrem Strahlenkorb auf, bewegen sich Leopardinnen im Rauschgold des Schummerlichts, fahren Straßenbahnen fröstelnd und allein, rollt sich ein Spätsommertag wie ein von der Feuchtigkeit gewelltes Stück Papier.
Bei den Leerformeln aber, die die Leute der Organisation „Wiedergeburt“ von sich geben, versagt Tellkamps Sprache, die wollen sich sprachlich nicht aufbocken lassen und lassen das Ganze erst recht banal werden. Zumal man eine ähnliche Geschichte schön nüchtern und simpel schon vor Jahren gelesen hat: in Marc Fischers Roman „Eine Art Idol“. Der aber war „nur“ Popliteratur, nicht die ach so herbeigesehnte, hohe Literaturschule eines Tellkamps, der sich mit „Der Eisvogel“ zumindest ideologisch als verspäteter Wiedergänger der Popliteraten zeigt. Die Klagenfurter Begeisterung für ihn lässt sich nach der Lektüre von „Der Eisvogel“ nur durch den Überdruss an der Leipziger Institutsliteratur erklären. Und auf das Erscheinen eines wirklich großen, jungen Autors warten wir geduldig weiter. GERRIT BARTELS
Uwe Tellkamp: „Der Eisvogel“.Roman, Rowohlt Berlin, Berlin 2005,320 Seiten, 19,90 €