: Im Schatten des Pausback
Im Jahr eins nach Jan Ullrich muss das Team Telekom damit zurechtkommen, nicht mehr die Nummer eins im Lande zu sein. Das allerdings soll sich möglichst bald schon wieder ändern
aus Berlin FRANK KETTERER
Wie sehr die Dinge sich doch verändert haben, hat Danilo Hondo gerade erst im Trainingslager auf Mallorca erfahren können. Angenehm warme Tage waren es auf den Balearen, das ist fast immer so. Ziemlich neu war für Hondo und seine Kollegen vom Team Telekom hingegen die Ruhe, in der sie sich im Ferienparadies auf die ersten Rennen der neuen Saison vorbereiten konnten. „In diesem Jahr war das Medieninteresse lange nicht so groß“, hat Hondo festgestellt, der Grund ist ihm wohl bekannt: „Weil Jan nicht mehr da ist.“
Auch bei der gestrigen Präsentation des neuen Team Telekoms in Berlin war Jan natürlich nicht da, und mit ihm fehlten auch all die netten Fragen nach Übergewicht im Frühjahr, die der Veranstaltung in den letzten Jahren den besonderen Pfiff verliehen hatten, quasi als Running Gag. Dass die Rede dennoch auf den Pausback mit den Sommersprossen kam, liegt nur in der Natur der Sache, schließlich schwangen sich die Telekoms in den Jahren mit Ullrich und all seinen Siegen zur Nummer eins in Radsport-Deutschland auf, nicht nur sportlich, sondern auch und vor allem in der Gunst der Radsportfans. Nun, da Ullrich endgültig fort und die nationale Konkurrenz von Gerolsteiner und Coast mehr denn je da ist, scheint auch diese exklusive Position passé. Schon in der letzten Saison war das Team Telekom, was die Zahl der Siege angeht, nicht mehr die Nummer eins im Land, nun, da der Tour-Sieger von 1997 für die Konkurrenz von Coast in die Pedale steigt, drohen auch noch Einbußen auf der Beliebtheitsskala. Für die Männer in Magenta ist das wirklich neu.
„Dass wir die Nummer drei waren, war ein Problem“, gibt Teammanager Walter Godefroot denn auch unverblümt zu. Wie wenig sie gewillt sind, dies eine weitere Saison hinzunehmen, zeigen die Neuverpflichtungen: Vom Team Index Alexia kam der italienische Giro-Sieger Paolo Savoldelli, von Team Kelme der kolumbianische Zeitfahrweltmeister und Tour-de-France-Vierte des Vorjahres Santiago Botero, von Mapei haben sich die Telekoms den Italiener Daniele Nardello geschnappt, ebenfalls schon dreimal unter den besten zehn bei der Tour ins Ziel gerollt. Komplettiert werden die Neuzugänge durch den Australier Cadel Evans, der als eines der größten Talente im Radsportzirkus allgemein gilt, den Belgier Mario Aerts sowie den 23-jährigen Christian Werner, einen deutschen Nachwuchsfahrer. „Wir haben die Mannschaft in der Breite ausgebaut“, sagt Teamchef Godefroot. Andere gehen noch einen Schritt weiter: „Die Mannschaft ist viel stärker geworden“, findet Alexander Winokurow, mittlerweile im dritten Jahr im Team.
Das ist objektiv und von den Namen her betrachtet keineswegs ganz unrichtig. Und Mario Kummer, der neue Sportdirektor und in dieser Position Nachfolger des mit Ullrich zu Coast geflüchteten Rudy Pevenage, sieht in dieser Tatsache durchaus ein „leistungssteigerndes Moment“, schließlich belebt Konkurrenz das Geschäft, auch teamintern. Die Frage wird nur sein: Reicht all die hinzugewonnene Stärke auch aus, um im Sommer in Frankreich den Unbezwingbaren bezwingen zu können – oder auch nur zu bedrängen? Und wenn Lance Armstrong tatsächlich ein Konkurrent in Magenta erwachsen sollte: Wie sehr interessiert es die deutsche Öffentlichkeit, wenn der aus Kolumbien stammt oder Italien oder Kasachstan – und eben nicht aus Merdingen?
Als „äußerst sensibel“ empfindet Kummer Fragen wie diese und empfiehlt, sich „erst mal auf die Ergebnisse zu konzentrieren und nicht auf die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit“. Dass die Resultate in Zukunft wieder erfreulicher ausfallen werden, glauben Kummer wie Godefroot ohnehin. „Wir gehen davon aus, dass wir vorne mit dabei sein werden“, sagt der Belgier und meint damit ausdrücklich auch die Tour de France, die das Team selbstredend als Saisonhöhepunkt angehen wird, ein Start beim Giro scheint derzeit hingegen eher fraglich. Ohnehin gibt sich Godefroot eher spröde, wenn die Rede auf die vakante Starrolle im Team gelenkt wird und somit auf den fehlenden Ullrich. „Wir müssen damit leben, dass wir jetzt im Schatten von Jan stehen“, sagt er dann, so wie die anderen Teams in der Vergangenheit stets damit leben mussten. Und überhaupt: „Wir haben mit Botero den Weltmeister im Zeitfahren und Erik Zabel, den Führenden der Weltrangliste“, knurrt Godefroot. „Da kann man doch nicht sagen, dass uns ein Star fehlt.“
Da mag, sportlich gesehen, durchaus was dran sein. Dass das Geschäft anders funktioniert, wissen sie freilich auch beim Team Telekom. Olaf Ludwig, Sportlicher Leiter und Teamsprecher, sieht das Jahr eins nach Ullrich deshalb auch in dieser Hinsicht als „Herausforderung“. Wo diese enden soll, formuliert Josef Brauner, Vorstand der Deutschen Telekom: „Unsere Mannschaft wird dorthin zurückkehren, wo sie nach unserem Selbstverständnis hingehört: ganz an die Spitze.“ Und das ganz ohne Ullrich.