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Im Namen der Rose

Geigen! Bauchtanz-Beat! Und die geheimnisvolle Macht der Vierteltonskalen! Natacha Atlas inszeniert sich als Vortänzerin des popmusikalischen Nahost-West-Dialogs  ■ Von Daniel Bax

Als Reiseland hat Ägypten in jüngster Zeit ein wenig gelitten. Möglicherweise liegt darin der Grund, daß der Sound ägyptischer Popmusik bisher nicht so recht über die Grenzen der Region hinausgedrungen ist. Zwar ist das Land noch immer ein Zentrum der arabischen Musikwelt. Doch die neuesten Kassetten ägyptischer Stars wie Amr Diab, Hanan oder Mohammed Mounir findet man in Deutschland meist nur in verkramten Allerweltsläden, die es in fast jeder Stadt gibt, neben Pistazien und holzgeschnitzten Backgammonborden. Über obskure Importwege gelangen sie ins Land, kursieren in Bauchtanzzirkeln oder beschallen Falafelstuben.

Um so erstaunlicher, daß Natacha Atlas so viel Zuspruch findet. Denn ägyptische Musik, vom klassischen Stil bis zum vulgären Shaabi-Pop, ist ihr wichtigster Input. Mit orientalischen Klängen ist sie aufgewachsen, als Einwandererkind im arabischen Viertel Brüssels, die Großeltern stammten aus Palästina und Ägypten. „Die arabischen Musikfilme, die in meiner Kindheit zum Alltag gehörten, haben mich sehr geprägt“, erinnert sie sich. Man kann es hören: die Stücke sind pathetische Inszenierungen, sie haben ihr Vorbild im arabischen Chanson, bedienen sich aber der modernsten technischen Möglichkeiten.

Mit jeder ihrer Platten – mittlerweile ist sie bei der dritten – nähert sich Natacha Atlas einen weiteren Schritt ihrer Vision einer modernen arabischen Musik, die Grenzen transzendiert, zwischen Genres und darüber hinaus. Eine Symbiose aus Dub und Darabukka, der arabischen Handtrommel, aus orientalischen Geigen und schwerem Baß, aus Bauchtanzrhythmen und Techno-Beat. Eine schrille Promenadenmischung, eine Kategorie für sich. Wenn man böse wäre, könnte man sagen: ein Orient-Surrogat als Ersatz für das Echte. Meint man es gut, sagt man: Ihr gelingt der Spagat zwischen den Musikkosmen Londons und des Nahen Ostens.

Exotik-Diva vom Dienst

Den Eintritt in die Londoner Musikszene verdankt Natacha Atlas dem Baß-Exzentriker Jah Wobble, der sie Anfang der neunziger Jahre als arabeskes I-Tüpfelchen für sein versponnenes Multikulti-Projekt „Invaders of the Heart“ buchte. Danach schloß sie sich den Elektronikfricklern von der Ethno- Techno-Formation Transglobal Underground an, deren beliebigen Maschinensound sie mit ihrem exaltierten, orientalisch modulierten Idiom einen unverkennbaren Stempel aufdrückte. Mit Natacha Atlas als Exotik-Diva vom Dienst avancierten Transglobal Underground zur Galionsfigur nicht nur des Nation-Labels, einem Sprungbrett für multikulturell orientierte Dance-Projekte, sondern einer ganzen Bewegung. Doch gerade, als die richtig losgehen wollte, Mitte der Neunziger, kam Britpop dazwischen. „Wir hatten eine Chance“, kann sich Natacha Atlas noch immer ärgern. „Aber sie wurde durch Britpop zerschlagen.“ Mit dem plötzlichen Hype um Gitarrenbands wie Oasis und Blur wurde der Spielraum für andere Musikentwürfe eng. Was die britische Musikindustrie als Entscheidungsschlacht gegen die US-amerikanische Pophegemonie anfeuerte, traf auch die gerade im Entstehen begriffene multikulturelle Clubszene. „Es tut mir leid, das zu sagen, aber: Britpop war ein anti- multikulturalistisches Statement. Es war wie ein Schlag ins Gesicht für uns. Es kam sehr plötzlich, und es fühlte sich recht rassistisch an“ – Stoff für Verschwörungstheorien, aber auch Anstoß zur musikalischen Neuorientierung.

1995 erscheint Natacha Atlas erstes Soloalbum „Diaspora“. Auf dem Cover sieht man sie, wie einst Liz Taylor, sich als Kleopatra auf einem Divan fläzen, im Ambiente einer orientalischem Filmkulisse, auf einem anderen Bild in den Armen eines Rudolfo-Valentino- Wiedergängers. Ein ironisches Spiel mit den üblichen Zuschreibungen: Identität ist ein inszeniertes Kitschbild, und Diaspora ist überall. Doch spätestens mit „Halim“, ihrem zweiten Album, wird es ihr ernster. Bei einem Onkel in Ägypten, Essam Rashad, nimmt Natacha Atlas Nachhilfe in arabischer Sprache und Gesang, um sich auf die Aufgabe vorzubereiten, die sie zu einer Art Heimkehr stilisiert. Schwer und ein bißchen schwülstig tönt ihre Hommage an Abdel Halim Hafez, den man die „Nachtigall vom Nil“ nannte, einen der klassischen arabischen Interpreten der sechziger Jahre. Ohne dessen Originale zu kopieren, empfindet sie deren Stimmung nach: Geigen! Große Gefühle! „Halim“ ist ein pulsierendes Geflecht aus orientalischem Orchestersound und elektronischen Rhythmen.

In Frankreich verkauft sich das Album über 100.000mal. Dafür revanchiert sich Natacha Atlas auf ihrem neuen Album mit einer dramatischen TripHop-Version des Françoise-Hardy-Chansons „Mon Amie La Rose“, in fast akzentfreiem Französisch. Gedida, die Neue, zielt jedoch verstärkt auch auf eine arabische Hörerschaft. „Es ist kommerziell zugänglicher für den Nahen Osten, weil viele Stücke darauf einen dezidiert ägyptischen Pop-Touch haben“. Quäkende Keyboards erinnern an den überhitzter Kassetten-Pop aus der Hitfabrik Kairo, doch der massive Elektronikeinsatz kühlt die Temperatur etwas herunter, erhöht aber auch den Eleganzfaktor. Über die Filiale in Dubai soll das Album im gesamten arabischen Raum vertrieben werden. Das geht jedoch nicht ohne vorherige Zensur. Denn was man in Dubai als zu provokativ oder herausfordernd empfindet, muß vor der Veröffentlichung gestrichen werden. Das Stück „Bastet“, in dem Natacha Atlas ihren Kommentar zum Übel der Korruption rappt, wurde bereits zensiert. Und der Song Mahlabeya, ein Popstück in der Schaabi-Tradition, leider auch: „Von den Lyrics her ist es wohl ein bißchen zu sexy.“ Natacha Atlas nimmt diese Widrigkeiten gelassen: „Ich weiß, daß Dinge zensiert werden, wenn ich zu weit gehe. Ich mache sie trotzdem, weil ich weiß, daß sie wenigstens in Europa veröffentlicht werden, so wie sie sind.“

Sendungsbewußtsein und Sprachcodes

Anpassungschwierigkeiten an die arabischen Normen? Das wäre zuviel gesagt. „Man muß sein Verhalten und seine Herangehensweise modifizieren. Wenn ich jetzt in Dubai säße, dann müßte ich aufpassen, wie ich angezogen bin. Es gäbe einen Sprachcode und alle möglichen Sachen, die zu beachten wären.“ Damit muß man leben, jedenfalls wenn man sich mit der Ambition trägt, die Zukunft des arabischen Pop mitgestalten zu wollen. An Sendungsbewußtsein mangelt es Natacha Atlas nicht. Immerhin sieht sie sich nicht allein auf dieser Mission. „Es gibt andere, die versuchen, so etwas zu machen wie ich. Vielleicht nicht so erfolgreich, weil ich das Beste aus zwei Welten habe, auf gewisse Weise. Sie benutzen Samples oder was auch immer, aber sie müssen noch lernen, wie man wirklich diese Sounds manipuliert.“ Vorsprung durch Technik, der Vorzug der westlichen Herkunft.

Einer hat es Natache Atlas jedoch besonders angetan: „Ein Typ namens Mika Sabbet, er ist halb Engländer, halb Ägypter“, er war an Gedida beteiligt und ist ihr Hoffnungsträger. „Während wir hier sprechen, sitzt er gerade mit Tim von Transglobal Underground im Studio, und sie schreiben Songs für einen der Top-Stars in Ägypten, für Hakim“, redet sie sich in Begeisterung, um zu verkünden: „Ich denke, daß Mika einer von denen ist, die die Musik dort verändern können. Er hat natürlich Widerständen zu begegnen, er bricht den konservativen Konsens. Aber so langsam bildet sich eine Gruppe um ihn, und hoffentlich schaffen sie es, die ägyptischen Charts durcheinanderzuwirbeln.“ Sagt's und schließt mit einem leicht theatralischen „inschallah“ – hoffentlich.

Kaschmirweich und opiumschwer

Ob man auch hierzulande einmal von Mika Sabbet hören wird, ist eine andere Frage. Natacha Atlas hofft jedoch, ein Fenster nach Osten geöffnet zu haben, durch das andere steigen können, denn: „Man muß nicht da reingeboren sein, um diese Musik zu hören. Wenn man mit dieser Musik arbeiten möchte, wenn man sie benutzen möchte, dann ist es hilfreich, etwas darüber zu wissen. Aber als Hörer muß man keine Ausbildung haben, man muß sich nur darauf einlassen.“ Und wird, da ist sie sicher, für die Mühe mit Gratifikationen überreich belohnt.

Denn arabische Musik ist groß, und Natacha Atlas ist ihr Prophet. „Arabische Musik eröffnet einen Zugang zu den emotionalen Sinnen, hauptsächlich durch die arabischen Tonleitern, auf eine Weise, die westliche Musik nicht vermag“, doziert sie. Um dann ein wenig esoterisch zu werden: „Ich glaube, daß die Vierteltonskalen die Macht haben, Menschen zu erreichen und sie in ihrem Inneren zu berühren, auf eine sehr besondere Art.“ Also empfiehlt sich vielleicht besser ein Beipackzettel: Vorsicht! Diese Musik kann Sie glücklich machen!

Für die positiven Nebenwirkungen des künstlerischen Nomadentums dient sich Natacha Atlas geradezu als Musterbeispiel an, als Beleg für die These, daß Marginalität ein Standortvorteil sein kann. Andererseits droht immer auch, nur als exotische Randerscheinung wahrgenommen zu werden. Arabische Nächte sind schwül, vor allem in der westlichen Phantasie, kaschmirweich und opiumschwer. Und leicht läßt sich Natacha Atlas' überkandidelte Inszenierung essentialistisch mißverstehen. Denn nur für westliche Hörer klingt diese Musik „typisch arabisch“. Wenn Sie, wie letztes Jahr, bei Peter Maffays „Begegnungen“-Brimborium mitwirkt oder im Vorprogramm von Jimmy Page und Robert Plant auftritt, dann bleibt ihr jedenfalls kaum mehr als die Rolle eines dekorativen Accessoires. Um es mit den Worten des britischen Musikjournalisten Ian Anderson zu sagen: „Wenn dies eine gerechte Welt wäre, würde sie für Wochen die Nummer eins der britischen Top of the Pops belegen, anstelle irgendeiner chirurgisch verschönerten Oma aus L.A.“

Natacha Atlas: „Gedida“ (Mantra / PIAS / Beggars Banquet)

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