■ Zur Auskehr: Im „Muß nicht“
Es gibt Dinge, die müssen im Frühling nicht sein. Essen gehen zum Beispiel. „Ich habe schon Cellulitis bis zum Knie“, stößt meine Freundin am Telefon und beschließt kurzerhand, eine Eierdiät zu machen. Schade nur, daß sie sich leider nicht davon überzeugen läßt, daß „Cellulitis“lediglich eine sprachliche Wortschöpfung der Kosmetikindustrie ist. Und daß es sich beim „Frühling“bekanntlich um eine Jahreszeit handelt, die in der Regel an einem bestimmten Tag im Monat beginnt. Frühlingsblumen sprießen dann, Vögel werden wach und es bleibt länger hell am Tag. Das ist eigentlich schon alles. Jedenfalls nüchtern betrachtet.
Aber irgendetwas läuft jedes Jahr im Frühling im weiblichen Gehirn verquer. Bei mir stellt sich diese kognitiv spürbare Regung regelmäßig Mitte März und meistens vor dem Zeitschriftenregal im Supermarkt ein. Genau da sehe ich sie schon vor meinem geistigen Auge, die Seite 121 in der Märzausgabe meiner heimlichen Lieblingszeitschrift. „Wie Sie ihr Gewicht in den Griff bekommen“, steht da in luftig gesetzten, orangenen Buchstabenzeichen. So luftig wie ein sommerlicher Frühlingstag. Und so leicht, wie wir uns fühlen werden, wenn nach der Brigitte-Diät sämtliche Pfunde von uns fallen.
„Zehn Tips gegen Fett“lautet deshalb das gutgemeinte Brigitte-Pamphlet. Wir erinnern uns an die beherzten Tips unserer magersüchtigen Nachkriegsmütter und wagen einen Blick in die fettarmen Zeilen: „Lassen Sie das Bratenfett über Nacht stehen und schöpfen es am nächsten Morgen wieder ab“, lautet Tip Nummer 1. Oder: „Braten Sie die Hähnchenschnitzel, aber essen Sie die Kruste nicht mit“. Das ist doch mal eine wirklich gute Idee. Paßt sie doch gut zu dem Osterbrunch, den wir ohnehin geplant hatten (S. 127, Brigitte-Ausgabe, „So stellen Sie einen tollen Osterbrunch auf die Beine“). Schön knusprig sehen sie ja aus, die Putenschenkel. Da können die Gäste herzhaft zubeißen, während die fettsparende Brigitte-Köchin am Salatblatt nagt.
Aber Gott sei Dank gibt es sie noch, die wahren Revoluzzerinnen, die böse Menschen als „Diätbrecherinnen“bezeichnen. Meine Freundin hält noch am selben Abend eine Bierdose in der Hand. „Diät gebrochen“, sagt sie knapp und schaut auf eine leere Eierschale, die vor ihr auf dem Tisch liegt. Daß dieser Schlankheitswahn pünktlich zum Frühling eigentlich Mist ist, hätte ich ihr gleich sagen können. Schließlich gibt es Dinge, die müssen einfach nicht sein. Diäten zum Beispiel.
Viel Spaß bei der nächsten „Einkehr“wünscht deshalb
Katja Ubben
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