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Im Lichtquadrat

■ Jacalyn Carley verabschiedet sich nach 17 Jahren von der Tanzfabrik

Als John Cage vor gut vierzig Jahren seine Komposition „4'33''“ zur Uraufführung brachte, den Klavierdeckel zuklappte und für 4 Minuten und 33 Sekunden reglos vor seinem Instrument verharrte, war das ein Skandal. Wenn heute der Pianist Darryl Rosenberg in der Tanzfabrik „4'33''“ zu Gehör bringt, ist das eine eher schöne und entspannte Angelegenheit.

Irgendwo im riesigen Fabrikgebäude hämmert jemand (Freitag abend um 22 Uhr!), Stimmengewisper dringt durch die Mauern, und wenn man Lust hat, kann man beobachten, wie zwei Tänzer und eine Tänzerin ihre Körper zentimeterweise verschieben: Erholung vom Theater im Theater.

„Space for Cage“ hat der Choreographin Jacalyn Carley ihren Tanzabend genannt, mit dem sie nach 17 Jahren, nach Mitbegründung und unaufhörlicher kollektiver Leitungstätigkeit die Tanzfabrik verläßt. „Space for Cage“ ist ein Streifzug durch die frühen Arbeiten des Avantgarde- Komponisten, eine ebenso konzentrierte wie verspielte Cage- Hommage, ein Abend für zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer, für einen Pianisten und für ein präpariertes Klavier.

Eigentlich sei der Schluß ein Anfang, sagt Rosenberg vor dem letzten der acht kurzen Cage- Stücke, der „Bacchanale“ von 1940 – denn als die Tänzerin Sybilla Fort an einem Dienstag im Jahre 1940 den jungen Cage um eine Komposition für ihre Performance am Samstag bat, befestigte der, aus Ermangelung eines Schlagzeugs, Schrauben und Gummis zwischen die Saiten seines Flügels, und fertig war das präparierte Klavier. Eine „Erfindung“ mit Folgen.

Mehr Anfang als Ende verheißt auch Carleys Arbeit, ihre beste seit langem. „Space for Cage“ ist nicht nur ein Neubeginn, sondern auch eine Rückbesinnung: auf die früheren, am abstrakten Tanz orientierten Arbeitsweisen und auf die (theoretische) Cage-Arbeit, mit der die Choreographin vor Urzeiten ihre Tanzausbildung an der Universität in Philadelphia abschloß. Da hatte sie schon eine lange Tänzerkarriere hinter sich.

1952 in einer kleinen Stadt in der Nähe von Philadelphia geboren, begann sie als Dreijährige mit dem Ballettunterricht, rutschte ins Show-Business, und als Siebzehnjährige hatte sie soviel Routine, daß sie beinahe Rechtsanwältin geworden wäre. Aber dann war es eben doch der Tanz, und irgendwann ist sie mit einem Koffer in Berlin gelandet, wollte eigentlich nur einen Workshop geben und ist nach 17 Jahren immer noch da. Ein Rückfahrticket hatte sie nämlich nicht gekauft. Jetzt ist sie verheiratet, Mutter zweier Kinder – und Künstlerin mit einer ungewissen Zukunft, der sie optimistisch entgegensieht.

Ihre eigene, neue Tanzkompanie hat schon einen Namen: „JC & Co/Moving Worlds“. Am liebsten würde sie gleich weiterarbeiten mit Ingo Reulecke und Todd Ford und den beiden neu Hinzugekommenen, Lydia Klement (die ihre Ausbildung an der Palucca-Schule in Dresden und nach der Wende noch eine in der Berliner Etage absolvierte) und Britta Schönbrunn, die sich die letzten Jahre in New York herumtrieb.

Nur das Geld fehlt, nachdem der Beirat für freie Gruppen ihren Antrag auf Optionsförderung abgelehnt hat. Aber Jacalyn Carley findet oft ungewöhnliche Lösungen, sowohl was die Finanzierung angeht als auch im Aufspüren von besonderen Gästen. Für ihre letzte Produktion konnte sie den Schauspieler Hanns Zischler gewinnen. In Carleys neuer Produktion erweist sich Daryll Rosenberg nicht nur als Experte des Cageschen Frühwerks, sondern auch als hervorragender Cage-Performer in den Umziehpausen.

„Ich habe soviel Zeit meines Lebens nach Texten gesucht, die es gar nicht gibt“, sagt Jacalyn Carley, die in vielen ihrer Stücke mit lautmalerischen Texten gearbeitet hat. In „Space for Cage“ antworten sie und ihre TänzerInnen auf das dumpfe Klaviergegrolle mit Ballettetüden und mit absurden, nach Zufallsmethoden ausgewählten und ineinander montierten Bewegungen. So leicht hingeworfen scheinen die kleinen Stücke, daß man die kontrastreichen Wechsel – von absoluter Stille zu raumgreifenden Sprüngen und explosiv-minimalistischem Tanz im kleinen Lichtquadrat – kaum bemerkt.

„Inzwischen“, so die Choreographin, „empfinde ich es als radikal, nicht zu improvisieren, die Schritte vorzugeben und gemeinsam mit den Tänzern die Partitur gründlich zu studieren.“ Womit sie zweifelsohne recht hat – ihrer Arbeit hat es nur gutgetan. Michaela Schlagenwerth

„Space for Cage“: bis 22. 10. Fr.–So. 20.30 Uhr, Tanzfabrik, Möckernstraße 68, Kreuzberg

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